Mit Larkin Poe betritt ein neues musikalisches Phänomen die Bühnen der Welt. Die Schwestern Megan und Rebecca Lovell aus dem amerikanischen Süden spielen einen tief in ihrer Heimat verwurzelten Sound, der Konzertbesucher auf der ganzen Welt begeistert. Dabei blicken sie bereits mit Anfang 20 auf eine lange Karriere zurück, die lange vor 2010 begann und deren Ursprung in einer Kleinstadt im Süden liegt. Eine Bandbiografie in sieben Teilen. Erzählt von Julian Auringer.
Calhoun in Georgia ist eines jener Südstaatennester der USA, die mit ihren knapp 16.000 Einwohnern einer größeren Kleinstadt in Deutschland entspricht. Beschaulichkeit scheint das richtige Adjektiv zu sein, das sie am treffendsten charakterisiert. Selbst die Historie der Stadt zeichnet sich durch eine beständige Ereignislosigkeit aus. Während sich 1835/36 in Georgia die Cherokeepopulation weigerte, ihr gottgegebenes Land zu Gunsten europäischer Siedler zu verlassen und Präsident Andrew Jackson höchstpersönlich Truppen entsandte, um ganz im Sinne des Indian Removal Act von 1830 die amerikanischen Ureinwohner nach Westen umzusiedeln, war das Land, auf dem sich heute Calhoun befindet bereits seit 1827 von weißen Siedlern besetzt und die Stadt Dawsonville einige Jahre alt, ehe sie im Jahre 1850 zu ehren Senators John C. Calhoun umbenannt wurde. Lediglich 1888 sollte ein Jahr werden, dass die Ruhe dieser Kleinstadt massiv störte. Gleich zweimal wurde Calhoun Opfer unglücklicher Umstände. Erst zerstörte ein Tornado einen nicht unerheblichen Teil der Stadt, dann wurden die Überreste noch in selben Jahre von einem verheerenden Feuer vernichtet. Calhoun wurde wieder aufgebaut – weitere Katastrophen blieben aus.

Heute erinnert der Stadtkerns an die Kulisse amerikanischer Filme. Einigen Häusern mit ihrem südstaatentypischen Baustil haftet der Charme einer vergangenen Zeit an und doch wirken sie so neu wie alles in den USA. So ereignislos wie die Geschichte der Kleinstadt gestaltet sich auch das heutige Leben. Zu den wenigen Attraktionen zählen ein Musikmuseum, der Salacoa Creek, der Folk Art Garden, diverse Parks und ein Golfplatz. Um die Stadt herum sieht es nicht anders aus: diverse Kleinstädte verstreuen sich über das weitläufige Gebiet, nordöstlich der Stadt, nach einer gut einstündigen Autofahrt, findet man die Kowoota Wilder Ness Areas, nordwestlich – knapp 15 Minuten von Calhoun entfernt – liegt die Johns Mountain Wildlife Area und im Süden – nach 35 minütiger Autofahrt – der Red Top Mountain Park am Allatoona Lake, wo viele Einheimische die heißen Sommertage verbringen.
Kaum eine Berühmtheit entspringt dieser Stadt. Hier finden sich keine Schauspieler, keine Bands oder Schönheitsköniginnen, die es über die Grenzen des Staates hinaus zu größerem Ruhm gebracht hätte. Wäre da nicht der heute eher unbekannte Roland Hayes, der als Sänger und Komponist um die Welt reiste, sogar im Buckingham Palace auftrat und bis in die 1950er Jahre hinein einen gewissen Weltruhm genoss, so könnte man sagen, dass Calhoun nur die üblichen Archetypen des amerikanischen Kleinstadtlebens hervorbrachte. Jene Helden von nebenan, die unsere Kinder bewundern und die im Teenageralter nach und nach anderen, prestigeträchtigeren Idolen weichen: Ein Footballer, ein Baseballspieler, ein olympischer Bogenschütze. Ansonsten: amerikanischer Süden in Reinkultur. Das Dorffest oder der Schulball scheinen das Highlight des Jahres zu sein. Würde man gebeten, sich ein Mädchen vorzustellen, dass aus diesem Dorf kommt – man würde unweigerlich an Melody St. Ann Celestine denken, jenem personifizierten Südstaatenklischee aus Woody Allens Whatever Works.
Der Ursprung: The Lovell Sisters Band
In dieser Stadt finden sich die Wurzeln von Jessica (1986), Megan (1989) und Rebecca Lovell (1991). Mit Melody St. Ann Celestine haben die Schwestern indes wenig gemeinsam. Lediglich das überdurchschnittlich hübsche Äußere teilen sie sich. Bereits früh fanden die Schwestern Zugang zur Musik und sie wurden von ihren Eltern dazu ermutigt, klassische Violine und später Klavier zu lernen. Man spielte im Jugendorchester (Violinistin Jessica stach hier besonders hervor), sang im Kirchenchor, nahm Tanzunterricht, ehe sie sich Hals über Kopf in den Bluegrass verlieben sollten. Dabei war die Begegnung mit der alten Musik des Südens eher eine Zufallsbekanntschaft: Ein paar Freunde nahmen sie mit zu einem Bluegrassfestival in Tennesse und die dort gehört Musik verzauberte die Schwestern.1 Von der gehörten Musik waren sie, wie Megan Lovell mir 2012 erzählte, völlig überwältigt: „Wir haben die alten Instrumente stehen lassen und uns an Bluegrassinstrumente gewagt. Rebecca hat Gitarre und Mandoline gelernt, ich Dobro und von da an hat sich unsere Musik dann langsam entwickelt.“ 2 Während Rebecca und Megan also neue Instrumente lernten (Rebecca nahm zudem einen Umweg über das Banjo, ehe sie über eine Aufnahme von Chris Thile zur Mandoline fand 3), vertiefte Jessica Lovell ihre Fähigkeiten an der Violine und begann sich von der klassischen Prägung zu lösen. Alle drei Musikerinnen zeigten überragendes Talent an ihren Instrumenten und man gründete, zusammen mit ein paar Freunden, die Lovell Sisters Band. Der lokalen Musikszene sollte sie jedoch im Sauseschritt entwachsen, denn was dann folgen sollte, hätten die Schwestern selbst nie für möglich gehalten: Bereits eine der ersten Shows, Rebecca war damals erst 13 Jahre alt, fand vor einem Radiopublikum von 4 Millionen Zuhörern statt, der Prairie Home National Teen Talent Competition, einem Talentwettbewerb, den die Band für sich entscheiden konnte und darüber hinaus ein Auftritt, der zu einer Zusammenarbeit mit dem Charleston Symphony Orchestra führte. 4 Nur zwei Jahre später gewann sie als erste Frau und jüngste Person in der Geschichte des MerleFest den Mandolinen Wettbewerb. Alle Zeichen standen auf Erfolg.

Bereits 2007 sollte der Weg nach Nashville führen. In der amerikanischen Countrymetropole arbeitete die Band ein Jahr lang an einem Album, das nie fertiggestellt wurde, denn sowohl das Label Lyric Street Records als auch die Schwestern bemerkten schnell die unterschiedlichen Visionen vom Sound der Band. 5 Betrachtet man das musikalisch Profil des Disney Sublabels (man denke etwa an Billy Ray Cyrus oder Rascall Flats), so scheint es dem traditionellen Sound der Lovell Sisters völlig zu widersprechen. Zu sehr scheinen die Acts des Labels auf Fremdkompositionen ausgerichtet zu sein, zu sehr wird hier auf Sessionmusiker gesetzt. Diese Entscheidung führte schlussendlich zur Gründung des eigenen Labels 2 Def Pigs (eine Anspielung die sich auf ihre Eltern und zwei Keramikstatuen bezieht), auf dem sie bis 2014 ihre Alben und EPs veröffentlichten. Es ging zurück nach Calhoun, Georgia.
Doch die Band war auch ohne Majorunterstützung weiterhin auf Erfolgskurs. 2008 führte sie der Weg erneut nach Nashville. Zusammen mit Grammy-Gewinner Brent Truitt, der bereits das Debütalbum When Forever Rolls Around mitproduzierte, arbeitete man den Sommer über an Time To Grow, einem Album, das überwiegend positiv aufgenommen wurde und neben zwei Preisgekrönten Songs (Distance gewann den John Lennon Songwriting Contest im Bereich Country) auch Ichetucknee Chutney enthält, eine Fremdkomposition die eindrucksvoll beweist, welche musikalische Fähigkeiten sich die jungen Musikerinnen bereits früh in ihrer Karriere angeeignet hatten. Diese Musikalität sollte auch dafür sorgen, dass einer ihrer ersten prominenten Fans niemand geringeres war als Elvis Costello, der 2007 einen Gig der Lovell Sisters auf dem MerleFest sah. Heute tourt er bevorzugt mit Larkin Poe als Backing- und Vorband.

Im Dezember 2009, nach zwei Alben, einer DVD und 6 Jahre auf Tour, gab Jessica Lovell ihren Rückzug aus der Musikgeschäft bekannt und besiegelte damit das Schicksal der Band. Sie heiratete und immatrikulierte sich an einer Universität. Das letzte Konzert der Band fand in ihrer Heimatstadt im Harris Arts Center statt. Die Lovell Sister Band war Geschichte, doch aus der Asche der Band entstiegen zwei Schwestern mit einer neuen musikalischen Vision. Megan und Rebecca Lovell gründeten Larkin Poe. Larkin Poe, das war der Name ihres Ur-Ur-Großvater väterlicherseits, über den in der Familie so manche Anekdote erzählt wurde und der tatsächlich ein entfernter Verwandter des großen Edgar Allen Poe war.
Möglich war dieser kometenhafte Aufstieg auch deshalb, weil die USA, anders als Deutschland keine Schulpflicht, sondern nur eine Beschulungspflicht kennt. Die Schwestern wurden folglich von ihrer Mutter zuhause und auf Tour unterrichtet. Eine stressige Zeit, wie mir Rebecca Lovell 2012 erzählte, denn es konnte sein, dass eine Prüfung an den unmöglichsten Orten geschrieben wurden mussten. Verschiedene Onlineprogramme in den Staaten, bei denen selbstverständlich auch dafür gesorgt wird, dass die Arbeiten von externen Prüfern korrigiert werden, schufen die Freiheit, ausgiebig zu touren. Dennoch umgibt den Hausunterricht ein schlechter Ruf, ist er doch Teil eines negativ aufgeladenen Südstaatenklischee, das von Tina Fey in Girls Club (OT: Mean Girls) pointiert auf den Punkt gebracht wurde. Doch auch hier wiedersprechen die Schwestern dem Klischee: Vielmehr zeigen sie, dass diese Art des Unterrichts auch positive Seiten hat und – anders als manche staatliche Schulen – intelligente, belesene Menschen hervorbringen kann. In unseren Gesprächen wurde immer wieder deutlich, dass sich die Schwestern nicht nur in ihren Songtexten gewählt auszudrücken verstehen, sondern auch Autoren kennen, die weit über das durchschnittliche Allgemeinwissen hinausreichen.
Neue Herausforderungen, neue Wege
Nachdem die Band von einst zerbrochen war, standen Megan und Rebecca Lovell vor einer Entscheidung: Sollten sie die alte Band zu zweit weiterführen, eine neue gründen oder ebenfalls der Musik den Rücken kehren? Man entschied sich zur endgültigen Auflösung der Lovell Sisters und zog nach Atlanta um dort eine neue Band zu gründen. Benannt wurde sie nach ihrem Ur-Urgroßvater väterlicherseits, Larkin Poe, von dem jeder in der Familie Geschichten und Anekdoten zu berichten wusste. Einer Person, die man zwar nie kennenlernte, die aber immer präsent war. Bereits in dieser Übergangsphase die auch bei den Sidemen personell einige Änderungen mit sich brachte, war spürbar, dass sich die musikalischen Interessen der Schwestern langsam vom Bluegrass entfernten – obwohl sein Einfluss bis heute spürbar ist. Rebecca Lovell beschrieb die musikalische Neuausrichtung 2010 als blues- und rockgeprägter, aber vor allem ohne den dreistimmigen Harmoniegesang. 6 Während die Lovell Sisters auf Schlagzeug und elektronische Instrumente verzichtete, hielten nun neue Impulse Einzug in den Sound. Dass man sich jedoch bald dem bluesigen, soulinspirierten Southernrock hinwenden sollte, wie man ihn nun auf Kin bzw. Reskinned findet, war damals noch nicht absehbar, denn die ersten EPs der Band waren noch tief im Country und Folk verwurzelt und Rebecca Lovells Hauptinstrument sollte vorerst die Mandoline bleiben.

Bereits wenige Monate nach Bandgründung veröffentlichte man den ersten Teil eines ambitionierten Projekts, das sich über die Dauer eines Jahres hinweg mit den vier Jahreszeiten beschäftigen sollte. 7 Es entstanden vier EPs, eine passend zu jeder Jahreszeit. Ziel dieser Veröffentlichungspolitik war es, einen kreativen Druck zu erzeugen um in kürzester Zeit möglichst viele Songs zu schreiben und so das eigene Können zu formen. Das Jahreszeitenprojekt wurde zu einer äußerst positiven Erfahrung: „Mit jeder Jahreszeit habe ich mich verändert und als Komponistin entwickelt. Im Nachhinein finden wir, dass die Jahreszeiten spürbar werden, wenn man sich die Alben anhört. […] So ist Spring sehr leicht und luftig dargestellt, Summer ist heiß und ab Fall wird es dann immer düsterer.“ 8 erzählte mir Rebecca vor einem Konzert im Jahre 2012. Und tatsächlich zeigt sich auf den vier Alben eine interessante Entwicklung als Songwriter. Stück für Stück gelang es der Band ihren Sound zu formen, die eigenen Stärken herauszuarbeiten und immer bessere Songs zu schreiben, obwohl bereits die Spring-EP sehr gutes Material bot. 2015 beschreibt Rebecca Lovell diese Zeit wie folgt: „Unser erstes Jahr als Larkin Poe […] war die Zeit in der wir Spring, Summer, Fall und Winter veröffentlichten, diese ganzen EPs. Da ging es vor allem auch darum, herauszufinden, wie man Songs schreibt. Songs hatten wir vorher nicht wirklich geschrieben und es gab so viele neue Dinge zu lernen. Wie schreibt man z.B. gute Lyrics? Wir mussten uns über unsere Gefühle klar werden. Was fühlt sich echt an, was ist authentisch?“ 9 Hört man heute die erste EP Spring, so stechen vor allem Stücke wie Burglary oder Fairbanks, Alaska hervor. Hier finden sich erste Anzeichen für die soulige Ausrichtung, die man später einschlagen sollte. Zwar widmet man sich hier noch einem poppigen Folksound, der Gesang hingegen weist deutlich in eine andere Richtung.
Betrachtet man heute die ersten vier CD-Cover, designt von Mindy Lacefield 10, fällt auf, wie sehr sich das Image der Schwestern von ihrem heutigen unterschied. Im Stil Lacefields werden die Musikerinnen als liebenswerte Comicfiguren präsentiert, die passend zur Jahreszeit gekleidet an Märchenfiguren erinnern und auch mal mit einem Vogel oder hinter einem Eisschloss posieren (man beachte die rückseitige Illustration von Winter). Kein Vergleich also zu den rockigen Posen von KIN oder Reskinned. Auch das Musikvideo zu Lang Hard Fall spricht diese Sprache und zeigt zwei junge Frauen, die sich ganz der Countryfolkästhetik verschrieben hatten. 11. Thick As Thieves hingegen zeigt das erste fotografierte Cover. Rebecca Lovell tritt hier erstmals mit Gitarre in Erscheinung, während ihre Schwester Megan noch mit Dobro anstatt Lapsteel posiert. Das alte Image beginnt langsam zu bröckeln, eine gewisse optische Eigenständigkeit entsteht und man beginnt sich vom Countryimage der singenden Familie zu lösen.

Growing up on stage
Rebecca Lovell sieht diese Entwicklung als den typischen Prozess einer Frau an, die auf der Bühne erwachsen wird und ihren eigenen Stil findet. Hinzu kam, dass man sich wie ein Rockstar fühlte und der Punkt gekommen war, an dem man dieses Gefühl auch optisch umsetzen wollte. 12 Die erste große Veränderung zeigte sich jedoch erst mit der Veröffentlichung des Albums The Sound Of The Ocean Sound. Zusammen mit dem norwegischen Songwriter Thom Hell 13, den man hierzulande vor allem als Duettpartner von Marit Larsen kennt, spielte man einige äußerst interessante Stücke ein. Die Perkussioparts wurden darüber hinaus von Sola Akingbola (Jamiroquai) eingespielt, der zufällig ein Tape von Larkin Poe hörte und mit ihnen arbeite wollte. Hier finden sich die bis dato besten Kompositionen der beiden Musikerinnen, die nicht nur auf musikalischer, sondern auch auf textlicher Ebene überzeugen.
Ich hatte die Möglichkeit die Band kurz vor und nach Veröffentlichung des Albums live zu erleben und mich mit den Musikerinnen über diese interessante Zeit zu unterhalten. Vor dem Album war die Zukunft der Band noch ungewiss. Dabei stand außer Frage, dass die Band weiter bestehen sollte – auf diversen Festivals verkaufte die Band so viele CDs wie keine andere und Larkin Poe hatten sich einen enormen Ruf erspielt. Lediglich wie es weitergeht, war noch nicht deutlich abzusehen. Man spielte bereits mit dem Gedanken, ein vollwertiges Larkin Poe Album aufzunehmen und suchte nach einer Möglichkeit, die Zielgruppe zu erweitern. Zum einen wollte man sich, wohl auch aus der Erfahrung mit den Lovell Sisters heraus, nicht ohne weiteres an ein Label binden, um nicht die Kontrolle über den künstlerischen Prozess zu verlieren. Hinzu kam das Streben der Schwestern, den idealen Song zu schreiben und zu versuchen, den Livesound (damals als Swampadelic Soul betitelt – eine Bezeichnung, die in den letzten Jahren keine Erwähnung mehr fand) auch auf den Alben zu konservieren. Während also das Konzert im September 2012 ein außergewöhnlich starkes war – man verließ sich ganz auf altes Material – folgte im April 2013 ein eher experimentelles Set mit vielen unveröffentlichten Songs (teilweise sogar mit Synthesizer und Megan als Leadsängerin), von denen einige später auch auf KIN zu finden waren. Schaut man heute die DVD Live from Stongfjorden (erhältlich zusammen mit der Thick As Thieves EP und dank traditioneller norwegischer Kleidung absolut empfehlenswert) fällt sofort auf, wie zahm man damals noch agierte und wie wenig der Bandsound mit dem zu tun hatte, was bereits wenige Monate später zum Trademarksound werden sollte.
Ein Jahr später wurde KIN veröffentlicht. So stark das Album auch ausfiel und so sehr sich der Sound verändert hatte: Neben einigen sehr guten Stücken gab es auch einige wenige, die den Gesamteindruck schmälerten. Hinzu kam eine Trackliste, die etwas ungünstig zusammengestellt war. Und so sollte es noch etwas dauern, ehe die hohen Erwartungen der Fans vollends erfüllt wurden.

Megan und Rebecca Lovell lebten nun bereits seit längerer Zeit in Atlanta, einer pulsierenden Stadt, dem genauen Gegenteil von Calhoun. Ihr entstammen Berühmtheiten wie Brenda Lee, Julia Roberts oder Cee-Lo Green. Eine Stadt, die musikalisch vom Hip Hop beherrscht wird. Somit wundert es auch nicht, dass Larkin Poe ihre Inspiration in der Musik der Vergangenheit, dem Gospel, den Arbeiterliedern – aber auch im amerikanischen Rock and Roll eines Tom Petty oder eines Joe Walsh fanden. 14 Bereits einige Jahre vor KIN waren Traditionals immer wieder Bestandteils der Setlisten ihrer Konzerte wie z.B. Wade In The Water. Nun wurde der Geist dieser Lieder fester Bestandteil des Larkin Poe’schen Klangkosmos.
Passend zu diesen immer stärker hervortretenden Einflüssen waren die Schwestern im selben Jahr auch Teil der Sessions zu Lost On The River: The New Basement Tapes, die von T Bone Burnett produziert wurden. Bob Dylan höchstpersönlich vertraute Burnett einige seiner ungenutzten Texte an, die er 1967, kurz nach seinem Motorradunfall, schrieb und die er noch nicht zu Songs verarbeitet hatte. Burnett versammelte nun einige Musiker um sich um Songs zu schreiben – unter ihnen auch Elvis Costello, Rhiannon Giddens oder Marcus Mumford. Interpretiert wurden sie neben den Songwritern von Johnny Depp, Haim und – auf Wunsch Elvis Costellos auch – Larkin Poe, die hier die Background Vocals sowie Slidegitarre und Mandoline beisteuerten. Seit Jahren sind die Schwestern aus Georgia neben ihrer Tätigkeit bei Larkin Poe auch als vielbeschäftigte Sidewomen aktiv und somit fast durchgehend auf Tour. Mal mit Elvis Costello, mal mit Kristian Bush, mal als Larkin Poe. 15
Reskinned
Zwei Jahre sollten verstreichen, ehe die Band KIN neu veröffentlichte. Mit Reskinned gelingt ihnen nun ein großer musikalischer Wurf, der jeden Zweifel beseitigen sollte. Dandelion, Elephant, High Horse, Jesse und der Bandklassiker We Intertwine wichen Stücken wie Sucker Puncher, P-R-O-B-L-E-M, Blunt und When God Closes A Door. Harte, bluesgetränkte Gitarrensongs, die man vor sechs Jahren nicht für möglich gehalten hätte. Rebecca Lovell verwandelte sich in nur vier Jahren in eine Gitarrengöttin, deren Fähigkeiten beeindrucken, während ihre Schwester Megan ihr Lapsteelspiel intensivieren konnte und ihrem Instrument Töne entlockt, die man hier nicht vermuten würde.

Auch im Songwritingprozess änderte sich einiges. Während ihre Songs früher größtenteils getrennt voneinander geschrieben wurden und eine Art kreative Geschwisterrivalität das Songwriting bestimmte, beschloss man bereits in der Vorbereitungszeit zu KIN, fortan nur noch gemeinsam Songs zu schreiben. Die Rivalitäten wurden beigelegt. Ein Prozess der Zeit beanspruchte: „Früher [war ich] sehr sensibel, wenn es um meine Songs ging.“ erzählte mir Megan Lovell 2015. „Da war ich schnell sehr verletzt, vor allem, wenn wir Teile meiner Songs verändert haben oder einfach einen Teil nahmen und ihn in einem anderen Song unterbrachten. […] Ich musste einfach lernen, den Song in den Vordergrund zu stellen und das Beste daraus zu machen. Wenn man das Gefühl hat, etwas zum Song des Anderen beizutragen, sollte man einfach nicht darauf achten, von wem es kommt, solange es nur den Song zu seiner bestmöglichen Version verhilft.“ [Auringer, Julian: http://diekopfhoerer.eu/2016/03/review-larkin-poe-reskinned/] Ein Reifeprozess also, der langsam voranschritt und in der Diskografie der Band gut dokumentiert wurde. Und so waren es in der Bandgeschichte immer wieder die Gegensätze der beiden Schwestern, die sich perfekt ergänzten. Während Rebecca Lovell immer aus sich herausging, ihre Energie offen zeigte, lernte ich Megan als zurückhaltende, wenn auch ebenso herzliche Person kennen. Als einmal eine Mandolinensaite riss und Megan Lovell plötzlich Zeit überbrücken musste, um ihrer Schwester die Möglichkeit zu geben, das Problem zu behaben, brachte sie das Geschwisterverhältnis auf den Punkt: Wenn eine Schwester immer redet, muss die andere zuhören.
An Larkin Poe verdeutlicht sich aber vor allem die immense Arbeit, die Musiker leisten müssen, um erfolgreich zu sein. Bestimmte Faktoren sind dabei beeinflussbar – etwa eine Arbeitsmoral zu schaffen, die vorsieht, 340 Tage im Jahr auf Tour zu sein, bis spät in die Nacht zu üben und sich stetig zu verbessern. Andere Faktoren wie Talent und die Möglichkeit, bereits in jungen Jahren Vollzeit zu touren (Hausunterricht), sind eher zufälliger Natur. Larkin Poe zeigen, dass zum Erfolg auch Engagement gehört, egal in welcher Branche man zu arbeiten pflegt. 4 Alben, 6 EPs und diverse selbstfinanzierte Musikvideos später sollte es dauern, ehe ein zufriedenstellender Majorvertrag zustande kam. Und so befinden sich zwei junge Frauen aus Calhoun, Georgia auf Erfolgskurs. Vielleicht wird man in naher Zukunft auch von Megan und Rebecca Lovell sprechen, wenn von den bekanntesten Söhne und Töchter der Kleinstadt gesprochen wird.
Diskographie:
Lovell Sisters Band
2005 – When Forever Rolls Around (Album)
2008 – Live at the Philadelphie Folk Festival (Live-Album)
2009 – Time to Grow (Album)
Larkin Poe
2010 – Spring (EP), Summer (EP)
2011- Fall (EP), Winter (EP)
2012 – Thick As Thieves / Live from Stongfjorden (EP/Live-DVD)
2013 – The Sound of the Ocean Sound (Album zusammen mit Thom Hell), Killing Time (EP, zusammen mit Blair Dunlop)
2014 – KIN (Album)
2016 – Reskinned (Album)
Besetzung:
Lovell Sisters | Larkin Poe | |||||||
2005 | Sep 05 | 2006 | 2008 | 2010 | 2011 | 2012 | 2016 | |
Violine, Lead Vocal | ||||||||
Jessica Lovell | x | x | x | x | ||||
Dobro, Lapsteel, Harmony Vocal | ||||||||
Megan Lovell | x | x | x | x | x | x | x | x |
Mandoline, Gitarre, Lead Vocal | ||||||||
Rebecca Lovell | x | x | x | x | x | x | x | x |
Gitarre | ||||||||
Jake Stargel | x | |||||||
Josh Miller | x | x | ||||||
Albert Whiting | x | |||||||
Brad Frazier | x | x | ||||||
Matthew Wingate | x | |||||||
Mike Seal | x | |||||||
Rick Lollar | x | |||||||
Bass | ||||||||
Andy Nall | x | x | x | |||||
Daniel Kimbro | x | x | ||||||
Todd Parks | x | |||||||
Robby Handley | x | x | ||||||
Drums & Percussion | ||||||||
Chad Melton | x | x | x | |||||
Jonathan Maness | (nur Spring) | |||||||
Marlon Patton | x | x | x |
- Auringer, Julian: http://diekopfhoerer.eu/2010/08/interview-mit-rebecca-lovell-von-larkin-poe/ ↩
- Vgl. Auringer, Julian: http://diekopfhoerer.eu/2012/08/interview-mit-rebecca-und-megan-lovell-von-larkin-poe/ ↩
- Vgl. Reverte, Michele: http://laist.com/2009/07/09/lovell_sisters.php ↩
- Vgl. Reverte, Michele: http://laist.com/2009/07/09/lovell_sisters.php ↩
- Vgl. Vejnoska, Jill: Lovell Sisters find sound all their own. m.accessatlanta.com/news/entertainment/music/lovell-sisters-find-sound-all-their-own/nQysZ/ ↩
- Auringer, Julian: http://diekopfhoerer.eu/2010/08/interview-mit-rebecca-lovell-von-larkin-poe/ ↩
- Passend zu jeder Jahreszeit entstand zudem eine handgemachte Seifenkollektion ↩
- http://diekopfhoerer.eu/2012/08/interview-mit-rebecca-und-megan-lovell-von-larkin-poe/ ↩
- Auringer, Julian: http://diekopfhoerer.eu/2015/10/interview-mit-rebecca-und-megan-lovell-von-larkin-poe-2015/ ↩
- http://www.mindylacefieldart.com/ ↩
- https://www.youtube.com/watch?v=IKqA3EFgxWA ↩
- Auringer, Julian http://diekopfhoerer.eu/2015/10/interview-mit-rebecca-und-megan-lovell-von-larkin-poe-2015/ ↩
- Anspieltipp: https://www.youtube.com/watch?v=ew8fEIPrqKo ↩
- Auringer, Julian http://diekopfhoerer.eu/2015/10/interview-mit-rebecca-und-megan-lovell-von-larkin-poe-2015/ ↩
- Auringer, Julian http://diekopfhoerer.eu/2015/10/interview-mit-rebecca-und-megan-lovell-von-larkin-poe-2015/ ↩
Hinweis: Alle Artikel wurden mir von der entsprechenden Plattenfirma / dem entsprechenden Verlag bzw. Verleih zwecks Rezension kostenlos zu Verfügung gestellt. Die Rezensionen sind demnach als Werbung zu betrachten. Werbung: Wenn dir der Artikel gefällt, wirst du mein Buch lieben: The Beach Boys - Pet Sounds
Wer ich bin: Ich schreibe Bücher, forsche zur Massenkultur (Comics!), komponiere, liebe Musik & bin hoffnungslos franko-/italophil.
Woran ich glaube: Wir sollten im Leben danach streben, Narren zu sein. Immer auf der Suche, niemals am Ziel, von Neugier getrieben, mit offenen Augen, Ohren & Geist durch die Welt gehend.