2016 ist vorbei. Ein trauriges Jahr für die Musik, denn einige unserer Helden verließen uns mehr oder weniger unerwartet. Ob Leonard Cohen oder David Bowie … die Liste wollte kein Ende nehmen. Umso erfreulicher, dass dieses Jahr einige ziemlich gute Alben erschienen (Blackstar und You Want It Darker lassen wir mal außen vor – die sind zwar sehr gut, werden aber bereits an anderer Stelle ausgiebig gelobt.) Die Zeit der neuen Helden bricht an. Deshalb soll ihnen die Bühne gehören.
Maren Morris – Hero
“Can I get a hallelujah
Can I get an amen
Feels like the Holy Ghost running through ya
When I play the highway FM
I find my soul revival
Singing every single verse
Yeah I guess that’s my church”
— Maren Morris, My Church
Der Refrain zum Maren Morris Song My Church steht stellvertretend für eine neue Countryszene, die sich zwar auf Traditionen beruft, aber ihr eigenes Ding durchzieht. Mit Hero, ihrem vierten Album, gelang Morris nun endlich der große Durchbruch. Platz 1 der Country-Charts, Platz 5 der US-Charts; ein Top 10 und ein Top 20 Hit, nominiert für 4 Grammys – die Texanerin wird so schnell nicht mehr verschwinden. Und das ist gut so, denn auf Hero finden sich großartige Songs zwischen Country, Pop und Soul. Abseits der Hits My Church und 80s Mercedes gefallen mir vor allem I Wish I Was (toller Text!), Sugar, Drunk Girls Don’t Cry und Rich.
The Explorers Club – Together
Kaum einer anderen Gruppe gelang es bisher, den Sound Brian Wilsons zu kopieren und gleichzeitig eingängige und eigenständige Songs zu schreiben. Mit Grand Hotel wurde der Wilsons-Sound um neue Einflüsse bereichert: Plötzlich hörten wir Herb Alpert und Burt Bacharach heraus – eine erfreuliche Entwicklung. Doch die Band brach auseinander und es sollte Jahre dauern, ehe ein Nachfolger entstand. Together besinnt sich wieder auf die Wurzeln. Anstelle des 60s Sounds orientierte man sich nun aber an den weniger bekannten 70s Alben der Beach Boys wie Holland, Sunflower (mein persönliches Lieblingsalbum der Jungs) oder Surfs Up.
Ödland – Comète
Als ich Ödland vor einigen Jahren entdeckte, war schnell klar, welches Potential in der Gruppe schlummerte. Durch die Verknüpfung von Musik, Videos und Fotos gehört die Band derzeit zu den interessantesten Projekten der Musikszene, denn es wird dem Hörer ermöglicht, in eine ganz eigene Welt einzutauchen. 2016 änderte sich dennoch einiges im Klangkosmos, denn man machte sich auf, den Weltraum zu erobern. Auf Comète hören wir nun überwiegend elektronische Klänge, was sich dennoch perfekt in den bisherigen Sound einzufügen versteht. Dank professioneller Abmischung weist das Album auch klanglich neue Facetten auf: So gut klangen die drei Musiker noch nie.
Befangenheitshinweis: Ausmerksame Hörer werden meinen Namen in den Danksagungen des Albums wiederfinden.
Alex Izenberg – Herlequin
Mache Alben brauchen ein wenig, ehe sie zünden. Alex Izenbergs Sound darf als schräg bezeichnet werden. Alles klingt nicely out of tune, schöpft seine Inspiration aus dem ersten Album des Electric Light Orchesters, bereichert Jeff Lynnes und Roy Woods Sound um eine leichten Schuss Soul. To Move On, Libra (mehr frühe ELO geht nicht!) oder Grace verknüpfen abgedrehte Orchesterarrangements mit popmusikalischen Einflüssen. Ich liebe es.
Brent Cobb – Shine On Rainy Day
Ihr kennt das? Zwei großartige Countrymusiker (Miranda Lambert und Chris Stapleton) weisen auf einen Musiker hin, man schaut sich das Musikvideo an und es überkommt einen das Gefühl, die Musik schon ewig gekannt zu haben? Wie ein alter Freund kommt sie daher, einem altenr Ohrwurm gleich und entpuppt sich doch als neues Werk. Irgendwo zwischen den reduzierten Songs eines Kris Kristofferson und den stimmlichen Qualitäten eines Glen Campbells findet sich der Sound Cobbs. Man fühlt sich gut aufgehoben, alles strahlt eine einzigartige Ruhe aus und Songs wie Solving Problems, Shine On Rainy Day oder Black Crow überzeugen auf ganzer Linie.
Svartanatt – Svartanatt
Was war das für ein wahnsinniges Album? Für mich das Retroalbum des Jahres, noch vor den Blues Pills. Eine großartige Stimme voller Soul, fette Orgeln, gute Gitarrensoli (Thunderbirds Whispering Wind) und zu keinem Zeitpunkt langweilig. Eingängige Songs mit Suchtfaktor. Svartanatt klingen bereits auf ihrem ersten Album wie die inzwischen leider aufgelösten Graveyard auf Lights Out. Höre ich seit Release eigentlich ununterbrochen.
Larkin Poe – Reskinned
Megan und Rebecca Lovell überarbeiteten ihr Debüt Kin. Der Opener Sucker Puncher steht stellvertretend für eine noch hörtere Ausrichtung und die Schwächen des Debüts wurden konsequent ausgebessert. Einzig das gut durchdachte Design des Originalalbums ging flöten. Davon abgesehen überzeugen die Mädels mit zwölf Topsongs und man zeigt erneut, dass man sich auf dem Weg an die Spitze befindet. Derzeit scheinen die Damen übrigens erneut im Studio zu sein. Wir sind sehr gespannt. Unsere Coverstory und alle wichtigen Infos zu Larkin Poe findet hier auf unserer Fanpage.
Blues Pills – Lady In Gold
Die Blues Pills hauen einen um. Was die Band dieses Jahr auf ihrer Tour mit Kadavar und Stray Train fabrizierte konnte man kaum in Worte fassen. Ihr zweites Album Lady In Gold bot eine wilde MIschung aus Hardrock, Soul und Blues. Song wie Little Preacher Boy, das introvertierte I Felt A Change oder das Tony Joe White Cover Elements And Things sind eigenständig und perfekt eingespielt. Ausnahmemusikern wie Elin Larson und Dorian Sorriaux finden sich selten in einer Band. Gemeinsam können sie die Welt erobern.
Monika Roscher Bigband – Of Monsters And Birds
Monika Roscher revolutionierte die Musik bereits mit Failure in Wonderland. Wer traditionelle Bigband Songs erwartet, wird enttäuscht: Anstatt biederer Arrangements fühlt man sich eher an Frank Zappa und einige Grungebands erinnert – alles blitzt und blinkt vor lauter Ideenreichtum. Unvorhergesehene Wendungen, neue Sounds, ein ganz eigenes Genre. Und ein sehr wichtiges Album, nicht nur für die nationale Musikszene. Es sind diese Sounds, die so logisch erscheinen und doch bisher nicht zu hören waren.
Joanna Gemma Auguri – Green Water EP
“A gentleman is someone who can play the accordion, but doesn’t.” – Ein Zitat, dass Tom Waits zugeschrieben wird und in dem viel Wahrheit steckt. Ähnlich wie Rebecca Lovell und Sierra Hull (beide Mandoline) beweist Joanna Gemma Auguri, dass Instrument und damit asoziierte Musik nicht immer übereinstimmen müssen, der Instrumentalist den Sound beeinflusst. Auguris Klänge sind düster (da wären wir wieder bei Tom Waits) und eigenständig, voller Traurigkeit und strahlen doch Hoffnung aus. Das Akkordeon ertönt mächtig, einer Orgel gleich. Eine großartige EP.
Bonus: Kacey Musgraves – A Very Kacey Christmas
Ein Weihnachtsalbum von Kacey Musgraves hätte ich zu diesem Zeitpunkt nicht erwartet. Dieses Jahr wurde besonders die Countryszene mit Weihnachtsalben überflutet und sie alle wirken wie der Versuch, aus den festlichen Tagen Kapital zu schlagen. Nicht so im Falle von A Very Kacey Christmas. Neben einigien Eigenkompositionen – A Willie Nice Christmas feat. Willie Nelson, Christmas Makes Me Cry, ein Song, der sich zum Klassiker entwickeln wird, dem souligen Present Without A Bow feat. Leon Bridges und Ribbon and Bows – singt Miss Musgraves einige Klassiker, bei denen vor allem die Spielfreude überzeugt. Jeder Song strahlt und es gelingt der Künstlerin, sie zu entstauben. Allein für Christmas Makes Me Cry und dem wunderbaren Cover von What Are You Doing On New Year’s Eve lohnt sich das Album.
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Wer ich bin: Ich schreibe Bücher, forsche zur Massenkultur (Comics!), komponiere, liebe Musik & bin hoffnungslos franko-/italophil.
Woran ich glaube: Wir sollten im Leben danach streben, Narren zu sein. Immer auf der Suche, niemals am Ziel, von Neugier getrieben, mit offenen Augen, Ohren & Geist durch die Welt gehend.