Danger: Diabolik
Erinnert sich nich jemand an den Mario Bava Film Danger: Diabolik? Diesen wunderbar stylishen Film mit Marissa Mell, John Phillip Law und Michel Piccoli? Nein? Kein Wunder, denn ein großer Erfolg war er in Deutschland tatsächlich nicht und eine DVD wird derzeit auch nicht verlegt. Von einer TV-Auswertung wollen wir gar nicht erst reden. Er gehört zu jenen obskuren Filmen wie etwa Perry Rhodan – SOS aus dem Weltall und andere, längst vergessenen Titeln, die nur unter eingefleischten Filmfans ein Begriff sind. Charmante, durchgestylte Filme mit hübschen Schauspielerinnen, deren Musik oft von Ennio Morricone, Bruno Nicolai oder Piero Umiliani komponiert wurde.
In Italien hingegen kennt man Diabolik sehr genau. Der italienische Fantomas genießt – wie auch Dylan Dog (teilt in Dtl. ein ähnliches Schicksal wie Diabolik, wird derzeit aber von Libellus liebevoll verlegt) 1 – Kultstatus. Thierry Smolderen und Alexandre Clerisse erwecken Diabolik in Ein diabolischer Sommer zu neuem Leben und sorgen vielleicht sogar für eine kleine Renaissance der Figur.
Die Geheimnisse eines Sommers: A White Shade Of Pale
Antoine Lafarge erinnert sich an den Sommer 1967. Als aufstrebender Tennisspieler tritt er gegen einen Gegner an, dessen Vater eine Niederlage nicht dulden lässt. Er verfolgt den ungeliebten Sieger und kommt unter mysteriösen Umständen ums Leben. Dieses Ereignis führt zu einer flüchtigen Freundschaft zwischen dem Sohn des Verstorbenen und dem Protagonisten. Es folgt ein Sommer, der noch weitere unheilvolle Ereignisse mit sich bringt, die den Erzähler über Jahre hinweg verfolgen und die auf geheimnisvolle Weise mit Diabolik in Verbindung zu stehen scheinen.
Der fiktive Roman als Ausgangspunkt
Ein diabolischer Sommer darf in allen Belangen als Triumph bezeichnet werden. Man betrachte z.B. die Form der Graphic Novel. So findet der Leser hier Antoine Lafarges Buch Ein diabolischer Sommer vor. Ein Bericht, verlegt in der Éditions Clairville. Verlag und Autor sind natürlich eine Erfindung Smolderens, doch die Fälschung geht soweit, dass sich sogar Anmerkungen des fiktiven Autors, eine Angabe der Erstauflage (1987) sowie ein Nachwort findet. Lafarge, so erfährt der Leser, lies die Geschichte seiner Jugen nicht in Ruhe und so sollte er einen zweiten Teil verfassen, der seine finalen Nachforschungen dokumentiert (und der hier natürlich ebenfalls abgedruckt wurde). Eine perfekte Illusion.
Der erste Band berichtet aus der Sicht eines pubertierenden Jungen, der die Erlebnisse des Sommers ’67 nicht einzuordnen vermag und in einen Strudel aus Sex, LSD und unausgesprochenen Geheimnissen gerät, die, soviel sei verraten, ziemlich übel sind. In Abwesenheit von Mutter und Schwester muss er sich bald Fragen über seinen Vater stellen, den eine mysteriöse Aura umgibt und der nach einer schicksalshaften Nacht spurlos verschwindet. Der zweite Teil zeigt einen gereiften Autor. Während einer Signierstunde trifft er zufällig seine Jugendliebe. Sie wird ihm scheinbar unwichtige Informationen anvertrauen, die den Sommer ’67 in einem anderen Licht erscheinen lassen.
Smolderens Geschichte erinnert dabei an alte französische Filme wie etwa Ein mörderischer Sommer von Jean Brecker mit Isabelle Adjani (übrigens eine Literaturverfilmung, deren Titel nicht nur zufällig an die Vorliegende Graphic Novel erinnert), aber auch an diverse Gialli und das italienische Kino der 60er/70er Jahre an sich. Besonders die geheimnissvolle Aura des Unausgesprochenen durchzieht den Roman wie ein roter Faden.
Der Zauber der grafischen Gestaltung
Die absolute Meisterleistung gelingt jedoch Alexandre Clerisse, der Ein diabolischer Sommer komplett in Illustrator zeichnete, was dem Leser aber zu keinem Zeitpunkt auffällt. Dieser Look hebt sich von allen Comics ab, die ich in den letzten Jahren gelesen habe und erinnert in seiner unglaublichen Eleganz an Kerascoet/Huberts Schönheit. Den Illustrationen haftet ein Zauber an, der ebenso geheimnisvoll anmutet wie die Geschichte selbst. Ob LSD-Trip, nächtliche Szenerien oder einfache architektonische Darstellungen: Jedes einzelne Bild erscheint besonders und diverse Metapanels schäumen vor Inspiriertheit über. Die Einfälle von Clerisse sind schlichtweg genial. Es gelingt ihm, den Charme der 60s Comics einzufangen (der hiesige Autor hatte das Glück, mit einer Kiste alter Comics, die er im Keller seiner Großeltern fand, aufzuwachsen) und um den eigenen Stil zu erweitern.
Besonders stechen dabei einige isometrische Darstellungen der Häuser heraus. Sie nehmen die Form eines Metapanels an und mit gestrichelten Linien oder parallelen Darstellungen werden Bewegungen verdeutlicht, die sich innerhalb dieser Gebäudes zutragen. Andere Panels zeigen einen Querschnitt durch die Zimmer eines Hauses; trennenden Wände werden so zum Gutter und erinnern an einige Bilderbogen Wilhelm Buschs.
Im Anhang, diesmal tatsächlich als Arbeit von Smodleren & Clerisse ausgegeben, finden sich überdies einige Informationen zu Diabolik, den Comics der 1960er und der Entstehung dieses wunderbaren und unfassbar schönen Buchs.
Play it again…
Es wurde bereits angedeutet: Auch die Musik spielt im Comic eine große Rolle. Mir persönlich gefällt eine solche Vorgehensweise, wie sie auch von Jim in Eine Nacht in Rom verwendet wird. Ein Song, der die Stimmung des Comics perfekt wiedergibt, wird genannt und es bietet sich tatsächlich an, den Comic parallel zur Musik zu lesen. Ein diabolischer Sommer verwendet den Song A White Shade Of Pale von Procol Harum. Ein moderner Klassiker also, dem eine wichtige Bedeutung zukommt und der die seltsane Stimmung des Sommers ’67 in Musik umsetzt. Moment … Das Album erschien doch erst im Januar 1968? Nun: A White Shade Of Pale war nie Teil von ihm sondern lediglich eine Single (B-Seite: Lime Street Blues) und wurde eher stiefmütterlich behandelt. Bereits im Mai 1967 kündigte sie das Album der Band an, wurde aber auf Konzerten selten (bzw. gar nicht) gespielt.
Erschienen bei Carlsen.
Weitere Informationen, Leseproben etc. zum Buch finden sich hier.
A White Shade Of Pale findet sich auf jeder CD Version des Procol Harum’schen Debüts als Bonustrack; zu empfehlen wäre die 2CD Version von Esoteric Records/Cherry Red.
- Auch hier existiert ein eher schlechter Film aus dem Jahre 2010; deutlich näher am Charme des Originals befindet sich die Sclavi-Adaption DellaMorte DellAmore von Michele Soavi (1994) ↩
Hinweis: Alle Artikel wurden mir von der entsprechenden Plattenfirma / dem entsprechenden Verlag bzw. Verleih zwecks Rezension kostenlos zu Verfügung gestellt. Die Rezensionen sind demnach als Werbung zu betrachten. Werbung: Wenn dir der Artikel gefällt, wirst du mein Buch lieben: The Beach Boys - Pet Sounds
Wer ich bin: Ich schreibe Bücher, forsche zur Massenkultur (Comics!), komponiere, liebe Musik & bin hoffnungslos franko-/italophil.
Woran ich glaube: Wir sollten im Leben danach streben, Narren zu sein. Immer auf der Suche, niemals am Ziel, von Neugier getrieben, mit offenen Augen, Ohren & Geist durch die Welt gehend.