Udo Lindenberg gelang vor knapp acht Jahren ein beachtliches Comeback: Sein Album Stark wie zwei schlug ein wie eine Bombe. Ein Nummer 1 Album – so etwas war dem Mann mit Hut noch nicht gelungen. Die folgenden Jahre bestanden aus einer gefühlten Endlostournee, es folgten Livealben wie Ich Mach Mein Ding – Die Show oder MTV Unplugged, Lindenberg hatte sich aus seinem Karrieretief befreit, war neu geboren. Ein musikalischer Phönix aus der Asche.

Hauptverantwortlich für diesen Erfolg war sicher die herausragende Produktion eines Andreas Herbig. Rockige Sounds treffen hier auf persönliche Texte, die aber auf geschickte Weise so universell ausfallen, dass sich eine breite Masse mit ihnen identifizieren kann. Dass da noch ein Album folgen würde – ich hätte es nicht gedacht. Stärker als die Zeit kommt folglich relativ überraschend, setzt allerdings fort, was bereits auf Stark wie zwei begonnen wurde. Wie auf dem Vorgänger bewegt man sich immer noch im Rock, die Texte pendeln wieder einmal zwischen Autobiografie und Massenkompatibilität hin und her. Ein Musiker der zurückblickt, einer der aus seinem Leben erzählt und damit vielen Menschen aus der Seele spricht. Man nehme z.B. Blaues Auge:
“Doch wenn ich noch mal von vorne starten könnte
wenn ich in meinem Film noch mal
alles, alles neu schreiben könnte
was würde ich ändern und was rausschmeißen
so’n Leben ist ja echt ‘n ziemlich harter Streifen
Ich würd alles so lassen und gar nix raustun
denn so’n blaues Auge gehört doch irgendwie dazu”
Durch die schweren Zeiten – ein weiterer autobiografisch-universeller Text.
Ein Text, übrigens nicht von Lindenberg selbst, mit dem sich viele Menschen zwischen 30 und 70 identifizieren können. Ich finde diese Art der Lyrik sehr Bemerkenswert. Man könnte hier viel kritisieren, doch bei Lindenberg wirken sie echt, wie aus seinem eigenen Leben gegriffen (was sie wohl auch sind). Dennoch ziehe ich Stark wie zwei Stärker als die Zeit vor, denn alles in allem wirkt der Vorgänger geschlossener, vielleicht auch überraschender. Musikalisch immer noch stark (obwohl ich mich hier mal als Fan der Funk-Alben oute) und doch nicht ganz so überzeugend. Ein Stück wie Coole Socke, wieder einmal mit Kinderchor (kann funktionieren, s.h. You can’t always get what you want, kann aber auch nicht funktionieren, s.h. Wozu sind Kriege da), fällt zu stark aus dem Rahmen, Stärker als die Zeit selbst überrascht mit gutem Streicherarrangement (allerdings leicht kitschig) – ob man aber Nino Rotas Filmmusik (Der Pate) unbedingt einen Text hinzufügen musste – ich bezweifele es. Dennoch finden sich hier genug Songs, die überzeugen und Stärker als die Zeit gelingt etwas, was ich nicht erwartet hätte: Die Qualität des Vorgängers wird größtenteils gehalten, Udo Lindenberg beweist, dass er immer noch relevante Musik macht.
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Wer ich bin: Ich schreibe Bücher, forsche zur Massenkultur (Comics!), komponiere, liebe Musik & bin hoffnungslos franko-/italophil.
Woran ich glaube: Wir sollten im Leben danach streben, Narren zu sein. Immer auf der Suche, niemals am Ziel, von Neugier getrieben, mit offenen Augen, Ohren & Geist durch die Welt gehend.