Heimliche Liebschaften. Eine satirische Kurzgeschichte.

Hohe und niedere Literatur

Ein Buch kaufe ich immer zweimal. Einmal als Hardcover und einmal als Hörbuch. Ersteres kommt dann direkt auf den Wohnzimmertisch – dort bleibt es eine Weile liegen. Wir müssen der Welt ja zeigen, dass wir zur Bildungselite gehören. Es liegt auch dort, um Konversationen führen zu können. »Hast du schon das Neue von Max Mustermann gelesen?« oder »Neulich, da habe ich dieses Buch gelesen… Ach! Da liegt es ja noch. Also dieses Buch von Max Mustermann …«. Dem Audiobuch hingegen schenke ich meine heimliche Zuneigung. Es wird versteckt, irgendwo hinter den vorzeigbaren Deutsche-Grammophon- oder Impulse-Aufnahmen.

Mit den Jahren wurde es eng im Regal und so müssen einige Grammophon-Künstler nun ihren Platz räumen. John Cage, Ornette Coleman oder Edgard Varese verlassen ihre Hüllen und machen Dan Brown Platz. So kleidet sich die literarische Unterschicht nach und nach in hochnäsige Gewänder. Nie wird einer merken, dass der olle Cage längst seine Schachtel verließ und nun auf einer Mülldeponie vergammelt und langsam die Umwelt verpestet. Er gehört zu jenen Komponisten, die man einfach besitzen muss, die aber ungemein stören, wenn die Bildungsbürgerfreunde auf ein Glas alkoholfreien Prosecco vorbeischauen, sich gegenseitig zuprosten und über die Anderen empören, also jenen, die sich erdreisten, eine eigene Meinung zu haben.

In ihrem Versteck fristen die Hörbücher ihr trauriges, vernachlässigtes Dasein und entwickeln Neurosen. Immer nur im Geheimen geliebt zu werden, nur Aufmerksamkeit zu bekommen, wenn keiner hinschaut – das schadete bisher noch jedem. Und dann ist da noch die Angst: Was, wenn doch einer mit akribischer Genauigkeit die Plattensammlung durchforsten? Nicht auszudenken, was geschehen würde, würde man sie dort entdecken! Deshalb meide ich Musikerfreunde. Zumindest die Studierten. Die könnten allzu neugierig werden und hinter die Fassade blicken. Überhaupt ist es eine kleine Kunst, die richtigen Freunde auszuwählen. Studierte Musiker gehen ebenso wenig wie emporsteigende Unterschichtler mit ihrem Drang, alles Fremde aus dem Regal zu nehmen und genauestens zu inspizieren. Der perfekte Freund muss also durchschnittlich sein. Er sollte die Avantgardisten kennen – aber nur so gut, dass sie abgelehnt werden. Zwischen ihm und mir muss Einigkeit herrschen. Wir müssen uns schweigend darüber verständigen, dass uns der Musiker zwar bekannt, sein Werk auch geschätzt ist, er aber für den Moment nicht passend sei.

Dort hinter den Bildungsbürgeraufnahmen befindet sich das ungeliebte Medium in guter Gesellschaft. Es führt schweigende Zeitlupengespräche mit Nathan dem Weisen, denn der braucht ewig, bis er mal zum Punkt kommt und am Ende steht doch immer nur die gleiche Ringparabel. Den Nippeljesus hingegen meidet es, denn meine Audiobücher haben ihren eigenen kleinen Kulturelitismus entwickelt. Helene Fischer würdigen sie ebenfalls keines Blickes, den Frank Zappa aber – ja mit dem trinkt man heimlich alkoholfreies ein Bier. Wenn Wolfgang Amadeus Mozart nicht hinsieht. Oder wenn Pierre Boulez mitkommt. Was sollen denn sonst die Leute denken?

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