Willie Nelson: In den USA bekannt wie ein bunter Hund, einer, dessen Name jedem Kind ein Begriff ist. In Deutschland hingegen zählt er immer noch zu den eher unbekannten Künstlern. Lediglich sein gemeinsames Album mit Johnny Cash (VH1 Storytellers) und sein Song On The Road Again erfreuen sich größerer Beliebtheit. Gemessen an über 70 veröffentlichten Studioalben, diversen Film- und Serienauftritten und unzähligen Preisen eigentlich ein Unding. Dabei gehörte er, wie auch Johnny Cash, Waylon Jennings oder Kris Kristofferson zu den Mitbegründern des Outlaw-Countrys, jener musikalischer Ausprägung, die den Country für den populären Mainstream öffneten. So finden sich in Nelsons Discografie Platten, bei denen es schwerfällt sie einem bestimmten Genre zuzuordnen. Nelson gehörte auch zu den ersten Musikern, deren Alben ohne große Produktionen auskamen, die nur spärlich begleitet wurden und sich dem typischen Nashvillesound verweigerten. Warum nicht mal ein Countryalbum im Muscle Shoals Studio oder in New York City aufnehmen?
Nun liegt mit Mein Leben: Eine lange Geschichte eine weitere Biografie des Musikers vor, diesmal sogar (von Jörn Ingwersen) ins Deutsche übersetzt. Ingwersen gelingt es dabei, Willie Nelsons lockere Art beizubehalten. Diese Art bereitet jedoch auch ein paar Probleme, denn der von Nelson und Ritz gewählte Stil liest sich teilweise nicht besonders gut. Zwar entsteht der Eindruck, der Musiker würde seine Geschichte direkt erzählen und Ritzens Aufgabe bestünde nur darin, ein langes Interview zu transkribieren, doch wirkt die Biografie so stilistisch etwas stumpf, was aber den Lesefluss nicht stört.
Willie Nelson unterteilt sein Leben in fünf Abschnitte. Nach einer Einleitung, die – hier kommt ganz deutlich David Ritz Erfahrung als Autor zum Tragen – von Nelsons Problemen mit der Steuerbehörde erzählt, widmet er sich chronologisch seinem Leben. Immer wieder wird diese Chronologie unterbrochen, um die in der Einleitung angeschnittene Geschichte weiterzuerzählen und den Spannungsbogen aufrecht zu erhalten. Hier steht alles unter dem Motto: Warum bleibt der Musiker bei Problemen, die seine Existenz bedrohen, so entspannt? Der beste Teil der Biografie stellt “Mein Anfang” und “Songs fallen vom Himmel” dar. Nelsons Jugend erscheint greifbar, wie aus einem amerikanischen Film entsprungen. Ein Junge, der die Welt entdeckt und als junger Erwachsener von einem Problem ins nächste schlittert.
Der vierte und fünfte Teil der Biografie gerät dann problematisch. Willie Nelson gehört nun zu den Stars der amerikanischen Musikszene, die Spatzen pfeifen seine Lieder von den Dächern. Er widmet sich dem Marihuana, fackelt ein Ortsschild ab, wird hin- und wieder verhaftet. Alles in allem spannend erzählt, jedoch verkommt die Biografie zu einer Aneinanderreihung von prominenten Namen, ohne das man jedoch genaueres erfährt. Man muss es dem Red Headed Stranger hoch anrechnen, dass er sich weder zu den Biografien seiner Kinder äußert, noch von den Eigenheiten seiner Kollegen berichtet, denn aus moralischer Sicht verhält er sich hier absolut richtig. Dennoch: Diese Verweigerung nimmt dem Hörer auch ein gewisses Lesevergnügen. So findet man zwar Privatfotos mit prominenten Freunden, wie Nelson aber z.B. Jessica Simpson kennenlernte, bleibt ein Rätsel (außer man verfolgt seine Karriere genau). Ebenfalls auffällig: Wer bereits ein wenig über Willie Nelson weiß – sei es aus Interviews oder dem großartigen VH1-Spezial von 1999/2000 – wird einige dort erzählte Geschichten vermissen. Wenn sie überhaupt Erwähnung finden, dann in Nebensätzen. Es sind die kleinen Anekdoten, die man schmerzlich vermisst und es scheint so, als erzähle Nelson nur das, was inzwischen zu einer unverrückbaren Legende wurde (z.B. Shotgun Willie).
Schön geraten indes der Einband des Buchs: Entfernt man den Schutzumschlag, wird ein wunderbarer Buchdeckel in gemaserter Holzoptik freigelegt. Hier hat sich der Heyne-Verlag ein schönes Design ausgedacht. Weniger schön hingegen die zahlreichen Schreibfehler innerhalb des Textes. In Verbindung mit dem teils gewöhnungsbedürftigen – wenn auch unmittelbaren – Erzählstils, wird der sonst positive Eindruck gemildert.
Alles in allem weiß Mein Leben: Eine lange Geschichte jedoch zu gefallen. Was den Literaturwissenschaftler stört, wird der Fan womöglich übersehen/überlesen. Der Leser erhält Einblick in die Entstehung und das Wesen einer der interessantesten Menschen der Musikgeschichte, darf teilhaben am fantastischen Leben eines Menschen, der teilweise nicht wusste, wie er sich und seine Familie versorgen soll und sich nur wenige Jahre später fragen wird, welchen Privatjet er sich kaufen soll. Hier erfährt man fast alles über seine Alben, das jedoch sein Grammy nominiertes Album Night & Day verschwiegen wird, wundert.
Erschienen bei Heyne. Zur Verfügung gestellt via Bloggerportal.
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Wer ich bin: Ich schreibe Bücher, forsche zur Massenkultur (Comics!), komponiere, liebe Musik & bin hoffnungslos franko-/italophil.
Woran ich glaube: Wir sollten im Leben danach streben, Narren zu sein. Immer auf der Suche, niemals am Ziel, von Neugier getrieben, mit offenen Augen, Ohren & Geist durch die Welt gehend.