(Review) Der besondere Film: The Dance Of Reality

Dance Of Reality Teaser

Von einem, der auszog, das Lieben zu lernen

Alejandro Jodorowskys Beziehung zum Kino war seit jeher von einer gewissen Hassliebe geprägt. Spricht er vom aktuellen Produktionen, so tritt offenkundig hervor, dass der große Magier des Films dem aktuellen Blockbuster- und Serialitätskino wenig abgewinnen kann. Ohne bleibenden Gehalt, Wegwerfproduktionen, Filme ohne Seele. In der US-amerikanischen Ausgabe des Vice-Magazins brachte er seine Sicht der Dinge auf den Punkt: “You’re young and talk to me about The Holy Mountain, you’re talking to me now, in 2015. What film that cost 400 million dollars— Avatar, etc.—can you talk about? I made it 40 years ago, and you talk to me about the film as though it were new. My film has lasted nearly half a century. Industry films last three months, have their audience, make their money, and then what? They don’t give you anything. Art enters art history when it’s imperishable, when it’s honest, when it’s really healthy.” 1 Eine besondere Wut scheint dabei der Science-Fiction- und Superheldenfilm auszulösen, verständlich, weiß der Kenner seines Werks doch, dass Jodorowsky an seiner 9 stündigen Dune-Adaption mangels Studiointeresse scheiterte, obwohl von Pink Floyd bis Salvador Dali, von Moebius bis H.R. Giger ein unglaublicher Stab an der Verwirklichung mitarbeitete und Teile seines Drehbuchs durchaus den Weg ins Mainstreamkino fanden (Alien, Das 5. Element etc.) – nur ohne ihn. Erst als Star Wars Erfolge feierte, interessierten sich die großen Studios plötzlich für Filmtrilogien. Dune wurde dann tatsächlich recht mittelmäßig von David Lynch verfilmt, später gab es sogar eine mehrteilige Fernsehadaption. Wie die Zeiten sich ändern.

Photocredit by Pathe ABKCO La Danza, LLC
Photocredit by Pathe ABKCO – La Danza De La Realidad

Jodorowskys Ablehnung gegen Superhelden hingegen fußt nicht im Genre selbst – Comicleser wissen um seine revolutionären Arbeiten, etwa The Incal oder Lust & Glaube (beide mit Moebius). Doch Jodorowskys Helden sind anderer Natur. Sie entstammen dem Tarot – welches er in jahrelanger Arbeit restaurierte und erforschte -, sind eher Narr als Muskelprotz, folgen aber auch seiner psychologischen Lehre, der Psychomagie.

Nachdem Jodorowsky in den 1970er Jahren also das Kino revolutionierte (El Topo, Montana Sacra, in den 80er Jahren dann Santa Sangre – über die Auftragsarbeiten Tusk und The Rainbow Thief hüllen wir den Mantel des Schweigens, obwohl letzterer druchaus interessante Ansätze bietet), kehrte er ihm den Rücken. Finanzierungen schlugen fehl, mit dem Dune-Produzenten Michel Seydoux sprach er kein Wort mehr. Er erforschte den Tarot, entwickelte u.a. die Psychomagie (eine ritualgebundene Form der Psychoanalyse), schrieb Comics, pflegte seine Kontakte zum Who-Is-Who der Künstlerszene. Vor einigen Jahren entstand eine Dokumentation, die Dune, den Film, der niemals sein sollte, erforschte. Schnell fand der Regisseur heraus, dass die Feindschaft zwischen Jodorowsky und Seydoux niemals existierte. Sowohl Jodorowsky als auch Seydoux dachten nur, der andere würde ihn inzwischen verachten, jedoch sehnten sich beide nach einem erneuten Projekt. Seydoux bezeichnete die Arbeit mit Jodorowsky sogar als einer seiner schönsten Erfahrungen. Der Grundstein für The Dance Of Reality war gelegt.

Jodorowskys Biografie liest sich wie einer seiner Comics: Vom Vater verachtet zog es ihn früh aus seinem Heimatdorf in Chile gen Mexico. Er gründete seine eigene Theaterbewegung, schrieb und zeichnete Comics, machte Musik, bereiste die Welt, drehte Filme, arbeitete mit unzähligen  Künstlern aller Bereiche zusammen (von Leonora Carrington über John Lennon bis hin zu Nicolas Winding Refn), traute Marilyn Manson und Dita von Teese usw. usf. Jodorowsky war zum Inbegriff des Genies geworden. Erst im hohen Alter sollte er – lange nach dem Tod der Eltern – an seinen Geburtsort zurückkehren. Der Held kehrt Heim, um The Dance Of Reality, den ersten Teil seiner Autobiografie, zu verfilmen.

The Dance Of Reality erzählt nicht nur die Geschichte des jungen Alejandro, dessen Mutter (die jede Zeile singt) in ihm den verstorbenen Großvater sieht und dessen emotional verhärteter, stalinverehrender Vater den Jungen ablehnt. Unter ihm hatte Jodorowsky bis ins hohe Alter zu leiden, denn seine Erziehung war von Gewalt geprägt. Jodorowsky wäre jedoch nicht Jodorowsky, würden seine Filme nicht die die Pfade der Realität verlassen und sich dem magischen Realismus zuwenden. So macht sich sein (inzwischen fiktiver Vater) auf den Weg, den chilenischen Diktator zu ermorden, gerät dabei auf eine Odyssee und findet die Liebe zur Menschheit.

131 Minuten Film. Ein Mammutwerk. Jedes Bild ein Gemälde, jede Szene symbolisch überladen, dazu eine wunderschöne Filmmusik aus der Feder seines Sohnes Adan (Adanowsky). The Dance Of Reality sollte, wie alles, was Jodorowsky in den letzten Jahren produzierte, ein heilendes Werk sein. Und so liegt hier nicht nur der Tarot zu Grunde, sondern auch die Psychomagie. Sein Sohn Brontis spielt den Vater Jaime,  Alejandro Jodorowsky spielt sich selbst als alten Mann, der immer wieder hinter dem verängstigten Kind steht und auch Adan Jodorowsky hat einen Auftritt als kommunistischer Attentäter, der nicht in einer Welt leben möchte, in der es Kostümwettbewerbe für Hunde gibt.

Es gelingt dem Regisseur, einen individuellen Film zu drehen, der universell ausfällt. Vieles lässt sich in abgeschwächter Form auch in der eigenen Biografie finden, über allem thront die Weisheit eines Mannes, der den Menschen zeigt, dass es sich beim Leben um eine Illusion handelt. So weiß das Kind nichts vom alten Mann, der es mal sein wird – und der alte Mann hat die Kindheit längst vergessen. Jodorowsky schenkt dem hasserfüllten Vater die Fähigkeit, zu lieben. Um sie zu erlangen, muss  dieser jedoch eine Reihe von Folterungen über sich ergehen lassen, seine Frau wird auf seinen Körper urinieren, er verliert einige Jahre lang seinen Verstand, wird vergewaltigt etc. (letzteres übrigens ein Zitat aus einem seiner schlechteren Comics Sang Royal). Am Ende dieser Tortur wiederfährt ihm schlussendlich Nächstenliebe. Wie so oft fabuliert Jodorowsky, setzt sich selbst keine Grenzen und erschafft eine teils fiktive Biografie, wie man sie selten gesehen hat. So nennt Peter Sobczynski den Film “One of the most unforgettable films of this or any other year in recent memory”. Man darf ihm voll und ganz zustimmen.

The Dance Of Reality ist in Großbritannien auf Blu-ray und DVD bei Curzon Artificial Eye erschienen. Die Dialoge sind auf Spanisch, die Untertitel auf Englisch. Als Bonusmaterial gibt es eine Einführung zu sehen, die bei der Premiere in Cannes entstand und von Nicolas Winding Refn stammt.

  1. Salas, Camilo: http://www.vice.com/read/the-vice-interview-with-alejandro-jodorowsky-999

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