Der besondere Film: Love & Mercy

Paul Dano / Love & Mercy

Nachdem Love & Mercy nun doch (und mit einer Woche Verspätung) in Hannover gezeigt wird, nutzte ich die Chance, um mir den (laut BZ) “beste(n) Musikfilm der letzten Jahre” anzuschauen. Vorweg ein paar Worte zu Hannovers neuem Kino, dem Astor Grand Cinema: Ja, es lohnt sich. Die Kinos sind sehr schön gestaltet, endlich kann man die Sitze verstellen, hat eine Fußbank, genügend Platz zwischen den Reihen und man wird am Platz bedient. Nachos werden nicht angeboten – für mich ein Grund zur Freude, denn der Geruch von Käse gehört nicht ins Kino. Das Foyer hebt sich ebenfalls vom Durschnittskino ab. So macht der Kinobesuch Spaß. Nun müsste eigentlich nur noch ein Lösung gegen Personen her, die ihre Haribo-Tüten punktgenau nach der Werbung öffnen.

Brian Wilson gehört zu den großen Namen, die dem Durchschnittshörer unbekannt sind, obwohl seine Musik auch heute noch jedes Kind kennt. Love & Mercy -Regisseur Bill Pohland (hat vor allem als Produzent oscarpremierter Filme Erfolg, drehte jedoch vor 24 Jahren bereits einen Film) ist dieser Umstand bekannt und so beginnt der Film nach einer kleinen Montage verschiedenster Szenen, die quasi im Schnelldurchlauf zusammenfassen, was in den nächsten zwei Stunden auf den Zuschauer zukommen wird, mit einer Szene in einem Autohaus. Ein Autohaus, das für Brian Wilson (Paul Dano/John Cusack) nicht nur Love, sondern auch Mercy sein wird. Denn dort trifft er auf die Cadillac-Verkäuferin Melinda Ledbetter (Elizabeth Banks), mit der er sich ins Auto einschließt, um für wenige Momente seinem Psychiater Eugene Landy (großartig: Paul Giamatti) zu entkommen, der den Flirt auch prompt unterbricht, um der verdutzten Verkäuferin seinen Patienten vorzustellen. Brian Wilson – der Name sagt ihr natürlich nichts. Erst, als die Beach Boys als Referenzpunkt genannt werden, weiß sie, um wen es sich handelt. Eine Ausgangssituation, an der sich der erste Handlungsbogen des Films entfaltet. Ledbetter verliebt sich schnell in Wilson und muss mit ansehen, wie der Wunderheiler Landy sich im Ruhm seines Patienten suhlt, ihn unterdrückt und (für eigene Zwecke) missbraucht. Es wird nun an ihr sein, ihn aus den Händen seines Vormundes zu befreien, ein schwieriger Kampf, den der Kontakt zu seiner Familie ist – dank Landys Bemühungen – abgebrochen, der berühmte Patient vollkommen isoliert. Die 1980er Jahre leben vor allem von den Schauspielern Elizabeth Banks und Paul Giamatti. Banks verkörpert den Engel, Giamatti den Teufel, auf Zwischentöne wurde (weitestgehend) verzichtet, die Figuren sind sehr plakativ geraten. Lediglich einige Nebenfiguren entgehen der Eindimensionalität. Die Figur Wilson rückt hier leider in den Hintergrund. Zwar wird eingehend gezeigt, wie Landy Wilson missbraucht, wirklich im Fokus sateht jedoch nur Ledbetter. Und was für ein Engel sie ist: Elizabeth Banks verkörpert sie als strahlende Heldin im sonnigen Kalifornien – sie haucht ihrer Figur Leben ein, begeistert den Zuschauer und es zeigt sich, dass man ihr schauspielerisches Talent vielleicht etwas unterschätzte. Im Gegenzug neigt man dazu, John Cusack zu überschätzen. Seine Leistung besteht darin, traurig dreinzublicken. Lediglich Momente der Zweisamkeit zeigen seine Möglichkeiten. Vielleicht wird dieser Eindruck aber auch dadurch bestärkt, dass Cusack absolut keine Ähnlichkeit mit Brian Wilson aufweist.

Elizabeth Banks / Love & Mercy
Autoverkäuferin Melinda Ledbetter (Elizabeth Banks) lernt Brian Wilson kennen.

Der zweite Teil des Films fokussiert nun ganz den Beach Boy: Bruchstückhafte Episoden aus dem Leben des jungen Brian Wilson zeigen nicht nur die Grundlagen für seinen späteren psychischen Verfall, sondern auch seine Genialität. Paul Dano, der zwar manchmal etwas übertrieben agiert, erweckt den Brian Wilson der 1960er Jahre zum Leben. Bill Pohland gelingt es, Aufnahmesessions nachzustellen, zeigt, was Pet Sounds zu einem besonderen Album macht. Der Konflikt mit der Familie darf natürlich nicht fehlen (Wilsons geliebte Mutter gerät dabei etwas zu sehr aus dem Fokus), allen voran die Zankereien mit dem Vater (der als filmische Figur exakt Eugene Landy entspricht) und die stetigen Probleme mit der Angst seines Cousins Mike Love (der zwar aussieht wie Mike Love, irgendwie aber wirkt, als sei er zu stark geschminkt) vor dem musikalischen Fortschritt.

Pohland vermischt beide Teile miteinander, stellt  Promovideos der Beach Boys nach und es entsteht ein Puzzle, dass der Zuschauer selbst zusammensetzten muss. Zusammen mit dem grandiosen Soundtrack von Atticus Ross, der jede Menge Beach-Boys-Songs zu einer Soundkollage vermischt, entsteht ein Eindruck von Wilsons Geisteszustand. Je schlimmer es um seine Gesundheit steht, desto wirrer wird die Musik, Stimmen oder Geräsche vermischen sich mit Musikfetzen,  Alltagsgeräusche werden zu Rythmen, zerfallen wieder, im letzten drittel des Films werden immer wieder Cool Cool Water und Until I Die angespielt. Lediglich Szenen wie die, in der Wilson zum ersten Mal dämonische Stimmen hört, sind rar – sie zeigen gekonnt die bedrohlichen Seiten seiner Krankheit.

Banks & Cusack / Love & Mercy
Träumen von einer gemeinsamen Zukunft: Brian Wilson (John Cusack) und Melina Ledbetter (Elizabeth Banks)

Love & Mercy gehört ohne Frage zu den besten Musikfilmen der letzten Jahre. Dennoch macht er vieles falsch. So stützt sich der Film auf die Erinnerungen Wilsons und Ledbetters was bestimmte Personen (besonders Ledbetter aber auch WIlson) zu einseitig erscheinen lässt. Ledbetter ist der blonde Engel (in Banks Verkörperung unwiederstehlich), Wilson das Opfer (die dunkelsten Seiten wurden konsequent ausgeblendet – Charles Manson ist einmal kurz zu sehen, auf Gerüchte um Affairen, Obdachlosigkeit etc. wird nicht eingegangen, denn die wirklich interessanten 1970er Jahre werden erst gar nicht thematisiert), Landy, Murry Wilson und Mike Love die drei Teufel, denen Wilson nur schwer entkommen kann. Hier wurde eine große Chance verschenkt. Überdies ist ein gewisses Beach-Boys-Vorwissen unabdingbar um die Szenen der 1960er Jahre einordnen zu können. Oftmals werden Figuren nicht benannt, es wird dem normalen Zuschauer schwer möglich sein, sie zuzuordnen. Andererseits handelt es sich dabei natürlich auch um eine Stärke, denn so wirken bestimmte Szenen, als wäre Pohland selbst ein Teil der Familie gewesen, hätte einfach gefilmt, was er sah. Interessant und Unmittelbar, wie die Polaroids Andy Warhols. Fans der Beach Boys werden ihren Spaß haben: Wenn etwa Wilsons neues Album in Melinda Ledbetters Autoradio läuft, freut sich der Fan über den historischen Spaß. Interessant: Pohland zitiert ein sehr viel besseres Portrait eines Musikgenies: In einer der letzten Szenen treffen die verschiedenen Egos Wilsons aufeinander, ganz so, wie es Joan Sfarr in Gainsbourg vorexerzierte. Warum Sfarrs Film das bessere Portrait darstellt? Er nahm in Kauf, dass die Erben des Musikers keinen Gefallen am Film finden.

Und doch: Wer Love & Mercy als normaler Zuschauer oder als Hardcorefan sieht, wird mehr als nur zufrieden sein. Schöne Bilder treffen auf klare Figuren, eine interessante Story um Liebe, Gnade und Erlösung unterhält ganz ausgezeichnet. So darf Love & Mercy vielleicht nicht als bester Musikfilm der letzten Jahre benannt werden, wohl aber als ausgezeichneter Liebesfilm. Wer wünscht sich nicht eine Frau wie die filmische Melinda Ledbetter?

Hinweis: Alle Artikel wurden mir von der entsprechenden Plattenfirma / dem entsprechenden Verlag bzw. Verleih zwecks Rezension kostenlos zu Verfügung gestellt. Die Rezensionen sind demnach als Werbung zu betrachten.
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