Brian Wilson – No Pier Pressure (Deluxe)

No Pier Pressure

No Pier Pressure

Endlich ist es soweit: Brian Wilson, kreativer Kopf hinter den Beach Boys, veröffentlicht mit No Pier Pressure sein inzwischen 13. Soloalbum. Wer sich in der Biografie des Musikers auskennt weiß, dass die neuen Alben, die seit den 1990er Jahren regelmäßig erscheinen (wir klammern hier das maßgeblich von Eugene Landy beeinflusste 88er Album sowie die eigenen Coverversionen von I Just Wasn’t Made For These Times und Orange Crate Art aus) keine Selbstverständlichkeit sind. Kreativer Höhepunkt dieses zweiten Frühling bildet ohne Frage das geniale Smile (ein Album, an dem er seit den 1960er Jahren arbeitete und das ihn kreativ und emotional ausbrannte) und das nicht minder großartige That Lucky Old Sun (A Narrative), sein letztes (richtiges) Konzeptalbum, bei dem ein letztes Mal wirklich alles stimmte. Es folgte ein solides Gershwin Album und eine Neuinterpretation diverser Disneyklassiker. Ein letztes gemeinsames Album mit den Beach Boys wies unübersehbare Mängel auf, die vor allem in der Songauswahl und dem heftigen Einsatz von Autotune (auch auf dem aktuellen Album wieder im Einsatz) zu finden waren (wir berichteten). Die Beach Boys zerbrachen erneut und Wilson begann, mit Al Jardine, David Marks und Jeff Beck zu touren. Drei Alben sollten folgen, doch die kreative Zusammenarbeit zerbrach, ehe sie richtig begonnen hatte. Wilson stand nun vor einem Problem: Songs, die für die Beach Boys vorgesehen waren konnte er mit der Kernband nicht mehr aufnehmen und auch eine andere Zusammenarbeit war geplatzt. Also entschied er sich dafür, zusammen mit Gaststars doch das geplante Beach-Boys-Album zu realisieren, nur eben als Soloalbum (also wie in den 1970er Jahren, also das Soloalbum Brian Wilson Loves You von den Beach Boys aufgenommen wurde). Zu den gewünschten Künstlern zählten Al Jardine, David Marks, Blondie Chaplin (alle drei ehemalige Beach Boys), Jardines Sohn, She & Him, Mark Isham, Sebu, Kacey Musgraves und Nate Ruess. Aber auch eine Zusammenarbeit mit Lana Del Rey und Frank Ocean war angedacht. Während die Del Rey Sessions aufgrund terminlicher Probleme scheiterten, wollte Ocean rappen, was Wilson jedoch ablehnte (vermutlich ist es auch besser so, viele Fans erinnern sich mit Schrecken an ein Demo aus früheren Tagen, auf denen Wilson selbst rappte).

Doch wie ist nun das Album geworden und vor allem: Lohnt sich die Deluxe Version? Die Deluxe Version hat gegenüber der abgespeckten Version den Vorteil, drei neue und 2 alte Stücke zu bieten, von denen die Neukompositionen absolut essentiell sind. Don’t Worry, Somewhere Quiet und I’m Feeling Sad steigern die Qualität des Album, verdeutlichen, dass es sich hier um ein Brian Wilson Album und nicht etwa um ein reine Kollaborationsalbum handelt. Besonders Somewhre Quiet gehört dabei zu den ganz starken Stücken, ohne die das Album viel von seiner Qualität verlieren würde. Historisch versierte Hörer wird es natürlich nicht entgehen, dass es sich hier um eine Vokalversion des Instrumentals Summer Means New Love vom 1965er Album Summer Days (And Summer Nights!!) handelt. Doch Wilson gehen nicht etwa die Ideen aus: auch der Track I’m Feeling Sad klingt gut, mit Akkordeon und wunderbarem Harmoniegesang zaubert es eine Gänsehaut hervor. Weitere Bonustracks sind ein Demo des alten Songs In The Back Of My Mind (verzichtbar) und eine sehr gelungene Neuinterpretation seiner 88er Komposition Love And Mercy, einer seiner schönsten Solokompositionen und titelgebender Song für seine im Juni erscheinende Filmbiografie mit Paul Dano, Paul Giamatti und Elizabeth Banks.

Doch auch das Standardalbum hat einige Track zu bieten, die den Kauf rechtfertigen. Lediglich Runaway Dancer geht gar nicht. Nach einem tollen Intro folgt die Bummsbeathölle, man fühlt sich wie in einem entwürdigenden Paralleluniversum. Dabei ist die Komposition gar nicht so schlecht, wie man vermuten würde. Lediglich der Refrain und die Produktion wirken, als hätte man den Komponisten aus dem Studio ausgesperrt und die kreative Kontrolle in die Hände Sebus gelegt. Über On The Island darf man hingegen streiten: Zooey Deschanel singt bezaubernd wie immer, der Sound erinnert an Kreuzfahrt-Bossa-Nova und hat trotz seiner Leichtigkeit ein gewisses Gefühl zu bieten, passt sich wie ein Ruhepol ins Gesamtkonzept der Platte ein. Brian Wilson hingegen klingt hier etwas zu sehr nach Autotuneroboter.

Die radiotauglichen Songs des Album finden sich ohne Frage in The Right Time, eine klassische Komposition im Stil der letzten Beach-Boys-Single That’s Why God Made The Radio. Al Jardine und David Marks klingen stark wie immer, die Herren können einfach sehr gut singen. Noch radiotauglicher erweisen sich jedoch der grammyprämierte Countrynachwuchs Kacey Musgraves (unbedingt ihre Alben anhören. Ganz groß!) und Nate Ruess. Musgraves‘ Guess You Had To Be There lebt von seiner unwiderstehlichen Sängerin und einem großartigen Banjo-Hook. Nate Ruess hingegen klingt ebenso folkig wie Musgraves, stimmlich erinnert er an Lindsey Buckingham von Fleetwood Mac. Bei beiden wünscht man sich eine Chartplatzierung, denn ein letzter Top-10-Hit wäre ein wunderbarer Schlussstrich im kreativen Schaffen Wilsons. Apropos Schlussstrich: The Last Song (ursprünglich für Del Rey gedacht) wäre in der Tat ein wunderbarer letzter Song für den Meister. Textlich werden Erinnerungen an Summers Gone vom letzten Beach-Boys-Album wach. Wilson vertraut hier auf seine brüchige Stimme, verwendet ein intelligentes Arrangement und beendet eine Platte, die zwar nicht an die großen Werke der Vergangenheit anknüpft, aber dennoch stärker geworden ist, als sein letztes Album mit den Beach Boys. Einige Fragen werden jedoch nicht geklärt: Warum wird der Hörfluss durch Runaway Dancer zerstört? Warum klingen die Bläser oft konsequent wie aus einem 80er Jahre Keyboard (und ja, sie sind tatsächlich echt)? Warum werden gleich drei reguläre Songs auf der Standardversion getilgt?

Erschienen bei Capitol.

Hinweis: Alle Artikel wurden mir von der entsprechenden Plattenfirma / dem entsprechenden Verlag bzw. Verleih zwecks Rezension kostenlos zu Verfügung gestellt. Die Rezensionen sind demnach als Werbung zu betrachten.
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