Knapp 7 Jahre arbeitete Jonathan Jeremiah an seinem Debütalbum A Solitary Man. Sieben Jahre, in denen er mit Hilfe verschiedenster Jobs seine analogen Recordingsessions, inklusive eines kleinen Orchesters, finanzierte. Seither hat sich viel im Leben des Musikers geändert. Sein Debüt landete auf Platz 11 der Charts, es folgten Radio-, Fernsehkonzerte und ausgiebige Tourneen. Mit Oh Desire (VÖ: 27. März 2015) erscheint nun sein bereits drittes Album. Julian Auringer im Gespräch mit Jonathan Jeremiah.
Wie hat sich der Aufnahmeprozess für dich verändert, seit A Solitary Man, dein erstes Album, aufgenommen wurde?
Natürlich hat sich die Industrie seither verändert, aber davon spüre ich eher wenig, da ich auf sehr traditionelle Weise aufnehme. Ich mache alles noch analog, benutze immer noch eine alte Bandmaschine. Da ändert sich natürlich wenig. Aber es gab eine Veränderung in der Herangehensweise. Anfangs musste ich noch alles lernen, alles war neu. Der erste Schritt war natürlich, Produzent und Songwriter zu werden, in die Rolle hineinzuwachsen, das Handwerk zu lernen und zu beherrschen. Das war sicher auch einer der Gründe – jetzt mal vom finanziellen Aspekt abgesehen – der dazu beitrug, dass die Aufnahmen so lange gedauert haben. Inzwischen weiß ich sehr schnell, was ich will und wie ich es will. Das Songwriting hat knapp eineinhalb Jahre gedauert und die Aufnahmesessions dann nochmal ein halbes Jahr. Besonders die Aufnahmen haben viel mehr Zeit in Anspruch genommen, als ich eingeplant hatte.
Ich habe dich 2012 auf einem Konzert in Hannover gesehen. Dabei fiel mir auf, dass die Zuschauer, die gekommen waren, bereits eine Show der Tour gesehen hatten und dir quasi hinterher gereist sind. Dein Sound klang darüber hinaus völlig anders als auf dem Album. Woran liegt das?
Es kommt immer darauf an, was sich in der Nacht richtig anfühlt. Wir sind oft sechs oder sieben Jungs und alle sind unglaublich gute Musiker. Manchmal soll es dann dynamischer sein, manchmal entspannt, worauf wir gerade Lust haben. Ich mag es, wenn man einfach mal aus sich herauskommt. Ganz so, wie man es früher in den 1960er, 1970er Jahren tat, wo jeder mit seinem eigenen Instrument auf der Bühne stand und irgendwann sein Solo spielen durfte, es also nicht nur den Typen mit der Gitarre gab. Ich mag die Veränderung, also wie man ein Album auf die Bühne bringt, den Übergang zwischen Aufnahme und Konzert. Für die entspannte Stimmung hat man das Album und wenn man zu meinen Konzerten kommt, darf man ruhig eine klitzekleine Veränderung erwarten. Ausdrucksstärker wäre hier das richtige Adjektiv. Aber es gibt ja auch immer den Teil des Sets, wo ich rein akustisch auftrete. Nur ich und ein Cello. So ist für jeden was dabei und es wird nicht langweilig.
„Oh Desire“ geht jetzt eher in die Soul Richtung. Was hat dich dazu inspiriert?
Auch das erste Album hatte diesen Einfluss, vielleicht aber weniger deutlich. Bei mir kommt musikalisch einiges zusammen. Meine Mutter kam aus Irland, also habe ich auf der einen starken irischen Songwritereinfluss. Mein Vater hingegen war Inder, also hört man nun auch Bollywoodstreicher. Ich bin da wie eine Elster – nehme Elemente aus den verschiedenen Traditionen und füge sie zu einem neuen Ganzen zusammen. Hinzu kommt meine Stimme, die sehr vom Soul beeinflusst und sehr tief ist. Früher hörte ich viele Alben aus den 1950er Jahren, z.B. Blues und Soul. Das kam in letzter Zeit wieder etwas mehr hervor.
Deine Stimme ist ja auch eher tief und geerdet, dass zollt sicher auch seinen Tribut?
Na klar. Ich bin ja auch in einer Zeit aufgewachsen, als viele Jeff Buckley oder Axl Rose gehört haben, beides eher hohe Stimmen. Plötzlich haben alle Jungs in meinem Alter so gesungen, wie die beiden. Meine Stimme hingegen klang immer älter, tiefer, aus der Zeit gefallen. Mein Vater hat darüber hinaus viel R’n’B gehört, mochte vor allem die Crooner wie Dean Martin und das hat sich dann auf mich übertragen. Die Umgebung färbt ja auch immer auf einen ab, vor allem die Familie. Für mich hieß das: Alte Soulplatten und Crooner.
Ich kenne das Problem nur zu gut. Meine Sangesstimme befindet sich in deiner Tonlage und wenn man dann so hört, was derzeit im Radio läuft, fühlt man sich irgendwie fehl am Platz.
Ah, du hast auch eine tiefe Stimme! Siehst du, wir können einfach nicht hoch singen, selbst wenn wir es wollen. Eine natürliche Blockade. Man muss so eine Stimme einfach als Stärke begreifen und tun, was sich natürlich anfühlt.
Hast du ein Lieblingslied auf Oh Desire?
Paul McCartney hat mal gesagt, dass all seine Songs seine Kinder sind und er keines den anderen vorzieht. Nun, vielleicht ziehe ich den zweien Song des Albums, Wildfire, den anderen ein kleines bisschen vor. Der handelt von meiner Mutter, die leider letztes Jahr zu Weihnachten gestorben ist.
Oh, das tut mir leid.
Danke, das ist wirklich sehr traurig. Aber ich tendiere dazu, diese Erfahrungen in meinen Songs zu verarbeiten und versuche – so blöd das in diesem Zusammenhang auch klingen mag – das irgendwie positiv zu reflektieren. Du verstehst also, dass Wildfire für mich ein bedeutender Song ist. Andererseits haben alle 13 Songs einen gleichberechtigten Platz in meinem Herzen.
Mein Favorit ist bisher Phoenix Ava. Was hat dich dazu inspiriert?
Also der Song schwirrte mir schon ein paar Jahre im Kopf herum, um genau zu sein seit 20 Jahren. Songwriting ist so eine Sache für sich. Manchmal hat man Ideen, die kommen einfach so auf einen zugeflogen, ohne größere Schwierigkeiten. Und manches Zeug will einfach nicht heraus. Da hat man dann eine tolle Melodie, singt sie unter der Dusche und sie verfolgt einen förmlich. Aber es fehlt der Text oder die Akkorde, man hat einen tollen Gitarrenteil aber es passt nicht, fühlt sich einfach nicht richtig an. Manchmal brauchen die Dinge ihre Zeit, um sich zu entwickeln. Auf einmal war da aber jemand, über den ich ein Liebeslied singen wollte und plötzlich passte alles. Da kam es dann raus und es dauerte nur 20 Jahre und 5 Minuten.
Man kann also nicht sagen, dass du die Dinge zu sehr forcierst…
Nein. Ich versuche es zumindest nicht. Das Publikum ist in dieser Hinsicht wahnsinnig intuitiv. Die merken sofort, wenn es jemand nicht ernst meint. Hätte ich den Song auf A Solitary Man gepackt, hätte etwas nicht gestimmt. Hinzu kommt auch, dass man diese Songs live singen muss. Dutzende Male. Da sollte man schon an das glauben, was man singt.
Wirst du immer noch von deiner Freundin gezwungen, Liebeslieder zu schreiben, wie noch zu Zeiten von A Solitary Man?
Nein. Ich bin mir nicht sicher. Obwohl … Nein. Nein. wie funktioniert das mit den Liebesliedern? Manchmal habe ich das Gefühl, keine Songs mehr schreiben zu können, da überkommt einen das Gefühl, schon alles gesagt zu haben, was man sagen möchte. Aber wenn ich sowas denke, kommt plötzlich eine ganz andere Idee. Vieles läuft im Unterbewusstsein ab, wenn man schreibt. Als ich jünger war habe ich gerne James Taylor gehört. Er sagt immer, dass die Musik einfach zu ihm kommt und er wie ein Empfänger ist, der die Sachen, die er empfängt, aufschreiben muss. So ähnlich läuft das auch bei mir.
Die Streicherarrangements auf Phoenix Ava und Rosario sind fantastisch. Arbeitest du immer noch mit Jules Buckley?
Ja, in der Tat. Gestern Abend hing ich noch bei ihm rum – er lebt in Berlin – und wir haben Computerspiele gezockt. Sowas habe ich nicht mehr getan, seit ich 5 Jahre alt war. Aus irgendeinem Grund spielt er gerne Computerspiele. Der Grund, warum wir so gut zusammenarbeiten ist, dass wir die gleichen Einflüsse und Referenzpunkte haben. Er kommt ebenfalls aus dem Soulbereich und er weiß immer, wie man die Stimmung beeinflusst, wo Streicher Sinn machen und wo sie kitschig wirken.
Wie gestaltet sich der Arbeitsprozess?
Das ist bei jedem Projekt wirklich völlig unterschiedlich. Ich bin oft in Berlin, er hat eine kleine Wohnung hier und er besucht mich auch alle paar Wochen in London. Wir haben z.B. Wildfire zusammen geschrieben, er schreibt alles Streicherarrangements für mich und anschließend lade ich ihn auf Sushi und Bier ein.
Also bis du inzwischen auch ganz gut in Deutschland verwurzelt.
Ich lerne sogar ganz langsam Deutsch. Aber für sowas brauche ich lange. Hier ist es wirklich schön, zwar kenne ich bisher nur Berlin etwas besser, aber die Menschen hier sind sehr freundlich und es macht Spaß, nach Deutschland zu reisen. Wo bist du gerade? In Hannover?
Ja, ganz in der Nähe. In der Vorstadt. Sag mir doch mal, deine Top 5 Alben.
Aus dem Stand ist das wirklich schwierig. Vielleicht klingt das etwas seltsam, aber ich mag John Berry wirklich gern. Midnight Cowboy [Anm. JA: mit dem Hit Everybodys Talking, gesungen von Harry Nilsson), selbst seine kleinen, instrumentalen Stücke sind so unglaublich schön. Soundtracks sind etwas, was mir mein Vater nähergebracht hat. Wir haben oft Filme zusammen geschaut. Ich will mit meiner Musik Menschen in eine andere Welt entführen, deshalb habe ich oft das Gefühl, auch Soundtracks zu schreiben. Nick Drakes Pink Moon ist ebenfalls ein sehr schön Album, John Martyns Solid Air – so auf die Schnelle fallen mir natürlich nur die augenscheinlichen Alben ein – Sweet Baby James von James Taylor, Carol King und, das darf ich auf keinen Fall vergessen, Melody Nelson von Serge Gainsbourg! Ich könnte auch noch Scott Walker erwähnen One, Two oder Three.
Du erwähnst Melody Nelson. Das ist mein Lieblingsalbum. Als ich das gehört habe, also z.B. die Streicher und Chöre, da musste ich sofort alle Alben von ihm kaufen, die zu finden waren.
Oh ja, das ist einfach nur unglaublich. Die Musiker auf dem Album sind fantastisch. Da spielt ein Typ Bass, der bekannte Studiomusiker Herbie Flowers … Fantastisch. Gainsbourg hat ja auch eine tiefe Bariton-Stimme und das hat mich natürlich sofort angezogen und dann ist da auch noch Jean-Claude Vannier, der für die Streicherarrangements zuständig war. Das Album ist einfach ein Traum.
Gab es einen Punkt im Leben, an dem du alles hinschmeißen wolltest?
Nein. Ich hatte immer Tagesjobs, unter anderem als Sicherheitsmann. Aber die ganzen Jobs habe ich nur angenommen, um Musik machen zu können. Bevor ich einen Plattenvertrag hatte, gab es nur diese Möglichkeit der Finanzierung. Musik war immer meine Leidenschaft, das musste sein, da gab es keinen Weg dran vorbei. Mein Vater hat mir immer alte Kassetten gegeben, die ich mir dann angehört habe und ich wollte das einfach nachmachen.
Also hat die Musik dich ausgesucht?
Meine ganze Familie ist in den Künsten beschäftigt. Meine Schwestern sind auch alle Künstler, eine arbeitet z.B. als Modedesignerin. Wir sind alle kreativ. Der Lauf der Dinge. In der Schule hatte ich die Wahl zwischen Französisch und Gitarre. Ok, cool. Dann spiele ich Gitarre.
In den letzten Jahren schießen die Retrobands wie Pilze aus dem Boden. Wie beeinflusst dich das? Gibt es Wechselwirkungen?
Wenn man ständig schreibt oder auf Tour ist, verliert man neue Sachen schnell aus dem Blick. Ich muss da ganz ehrlich sein. Es zog alles an mir vorbei. Ich produziere meine Alben ja auch selbst. Das heißt, ich arbeite während der Aufnahmesessions 15 bis 16 Stunden am Tag. Da hat man abends keine große Lust mehr, noch irgendwas zu hören. So vergehen sechs Monate und man versinkt in der eigenen Musik, macht völlig dicht. Aber jetzt habe ich wieder Zeit, neue Musik zu entdecken. Heute Abend gehe ich z.B. auf ein Konzert in Berlin. Schauen wir mal.
Was war denn die verrückteste Sache, die dir seit dem ersten Album passiert ist?
Als ich das erste Mal im Logo in Hamburg gespielt habe, bin ich aus dem Bus ausgestiegen und da waren unglaublich viele Menschen, die nach mir gerufen haben. Autogrammjäger etc. Das fühlte sich an, als sei ich Teil der Beatles. Sowas gab es vorher nicht. Ich war ja immer Studiomusiker. Plötzlich besuchte ich andere Länder, in Deutschland war ich ja vorher noch nicht. Oder besser: Ich war bisher eigentlich nirgendwo, außer in den USA. Aber auf einmal hat man den ganzen Rockcircus um sich herum. Das ist total seltsam. Aber da gab es noch etwas. Vor ein paar Jahren, es war Weihnachten, da war ich in einer deutschen Frühstücksfernsehsendung. Es gab einen riesigen Weihnachtsbaum, viele Deutsche im Publikum, ein Karussell mit Kindern, die als Elfen verkleidet waren und ich sang ein Lied unter dem Weihnachtsbaum und lauter Elfen standen um mich herum. Das war unfassbar seltsam.
Ich erinnere mich da an ein Mädchen auf einem Konzert, die immer nach dir gerufen hat. Als du dann Autogramme gegeben hast, stand ich neben ihr und ihrer Freundin. Beide unterhielten sich darüber, wie verliebt die eine doch sei, aber die zierte sich, wollte es dir nicht sagen. Ziemlich lustig.
Das sind die Sachen, die man nie herausfindet. Aber Moment, ich erinnere mich an das Konzert. Hinterher waren wir noch in einer tollen Kneipe mit Leuten, die bei der Show waren. War ein toller Abend.
Jonathan Jeremiah Tour 2015
13.05.15 Kulturkirche, Köln
14.05.15 Mojo Club, Hamburg
15.05.15 Frannz Club, Berlin
16.05.15 Strom, München
Hinweis: Alle Artikel wurden mir von der entsprechenden Plattenfirma / dem entsprechenden Verlag bzw. Verleih zwecks Rezension kostenlos zu Verfügung gestellt. Die Rezensionen sind demnach als Werbung zu betrachten. Werbung: Wenn dir der Artikel gefällt, wirst du mein Buch lieben: The Beach Boys - Pet Sounds
Wer ich bin: Ich schreibe Bücher, forsche zur Massenkultur (Comics!), komponiere, liebe Musik & bin hoffnungslos franko-/italophil.
Woran ich glaube: Wir sollten im Leben danach streben, Narren zu sein. Immer auf der Suche, niemals am Ziel, von Neugier getrieben, mit offenen Augen, Ohren & Geist durch die Welt gehend.