Leser meines Webzines wissen es bereits: Thick As A Brick und A Passion Play sind meine unangefochtenen Lieblingsalben. Gerne bin ich der Band gefolgt, seit ich sie mit 16 zum ersten Mal hörte. Ob nun This Was, das schwierige Under Wraps oder Roots To Branches – jedes Album hatte seine ganz eigene Qualität, lebte von der Präsenz Ian Andersons und seinem Mut zur Veränderung. Leider ist von Andersons einst so großartigen Stimme nicht mehr viel übrig. Ausgerechnet die schweren Gesangspassagen von Under Wraps kosteten dem Mann die Stimme; sie sollte sich nie wieder umfassend erholen. Die Musik veränderte sich, Tonumfänge wurden kleiner, orientalische Einflüsse traten hervor, man rettete, was zu retten war. Nur live versuchte man sich immer wieder an den alten Songs. Das Ergebnis festigte in mir den Entschluss, kein weiteres Livekonzert der Band oder ihres Bandleaders zu besuchen. Nun träume ich seit meinem 16. Lebensjahr davon, einmal Thick As A Brick live zu erleben. Die Bedingung: Anderson dürfe nicht singen. Und Anderson erfüllte diesen lang gehegten Wunsch, brachte Thick As A Brick und seinen tollen Nachfolger auf die Bühne, sogar mit zusätzlichem Sänger. Nach reiflicher Überlegung nahm ich die Chance allerdings nicht wahr, ein Konzert der Tour zu besuchen und die Blu-ray gibt meiner Entscheidung Recht.
Nun liegt eine Blu-ray vor, auf der ein Konzert aus Island dokumentiert wird. Ich nehme mal die technische Seite vorweg. SD Blu-ray. Heißt: Falsches, hochskaliertes HD. Tull-Fans kennen das bereits. Irgendwas stimmt nie mit den Videos der Band. Fehlender Surround-Sound, dazwischengeschnittene Interviews etc. Jetzt ist es fehlendes HD, was Kopfzerbrechen bereitet. Der Ton hingegen: Feinstes DTS-HD Master Audio 96/24. Hier stimmt alles. Wäre da nicht das Konzert selbst. Oder besser: Die erste Hälfte. Anstatt also den Zweitsänger zu bemühen, Thick 1 komplett zu singen, versucht sich Anderson wieder einmal selbst und scheitert. Begleitet von einem gewissen Unwohlsein hören wir einem Mann zu, dessen Kopf bei jedem höheren Ton zu platzen scheint und diese heiklen Töne sind reichlich vorhanden. Eine Zerreißprobe. Zwischendurch immer wieder Andersons schräger Humor (diesmal: Webcameinblendung seiner Geigerin Anna Phoebe und eine inszenierte Prostatauntersuchung an einem Zuschauer – ja, richtig gelesen). Dann geschieht ein Wunder. Anderson singt Thick 2. Hier stimmt plötzlich alles. Seine Stimme sitzt. Wäre auch Thick 1 von so hoher Qualität, es gäbe nichts zu kritisieren. Außer vielleicht folgenden Umstand: Zwar kann Ryan O’Donnell singen, doch nur in dieser fürchterlichen Musicalart. Man erwartet sicher keinen zweiten 70s Anderson, aber Musical? Damit kann ich mich als Fan nicht anfreunden. Die Entscheidung, Jethro Tull aufzulösen, begrüße ich übrigens. Die Ian-Anderson-Liveband spielt mit mehr Kraft, als Jethro Tull in den letzten 15 Jahren.
Erschienen bei Eagle Vision/Universal.
Subjektiv: [xrr rating=2/5] Objektiv: [xrr rating=3/5]
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Wer ich bin: Ich schreibe Bücher, forsche zur Massenkultur (Comics!), komponiere, liebe Musik & bin hoffnungslos franko-/italophil.
Woran ich glaube: Wir sollten im Leben danach streben, Narren zu sein. Immer auf der Suche, niemals am Ziel, von Neugier getrieben, mit offenen Augen, Ohren & Geist durch die Welt gehend.