Dino Battaglia / Georg Büchner – Woyzeck. Ein Literaturcomic.

Dino Battglia Woyzeck Cover

Einige unserer Leser wissen bereits, dass ich derzeit als Lehrperson an einer Universität beschäftigt bin. Im Rahmen der Seminarvorbereitungen stieß ich auf einen längst vergessenen Comic, herausgegeben 1990 im Altamira Verlag. Woyzeck, ein – wie uns der Verlag auch im ausgiebigen Nachwort mehrfach wissen lässt – Literaturcomic des italienischen Comiczeichners Dino Battaglia. Das Medium scheint ideal zu sein, ähnelt es dem Theater doch in großem Maße. Es finden sich sowohl im Comic als auch im Theater Dialoge, im Idealfall nutzt auch der Comic Akte und Szenen, bietet einen kathartischen Moment und verwendet die aristotelische Einheit von Handlung und Zeit (alle Punkte finden sich z.B. in den Comics von Alejandro Jodorowsky). Ein Hauptunterschied zwischen Theater und Comic mag die Lenkung des Blicks sein. Wo im Theater immer das gesamte Szenenbild vorhanden ist, der Zuschauer die Wahl hat, wohin sein Blick sich richtet, so lenkt der Comic den Blick auf Details, Personen, Indizien. Freies Sehen wird selten gestattet, der Leser folgt dem Autor über die Seiten. Das Hauptproblem der Woyzeck-Adaption besteht allerdings nicht in der Blicklenkung sondern am geringen Umfang, denn sie umfasst lediglich 16 Seiten. Dass eine Literaturadaption an Umfang verliert sollte an sich kein Negativkriterium sein, denn z.B. wird in Büchern vieles beschrieben, was in einem Comic innerhalb eines Bildes darstellbar ist. Battaglia Problem liegt in der Komprimierung des Textes. Er versucht, die Essenz des Theaterstücks zu extrahieren, lässt wichtige Textstellen aus und scheitert so an der Vorlage. Er hastet durch das Stück, wie Woyzeck durch die Welt, gibt dem Leser kaum Chancen, zu verweilen, auszuruhen. Ungemein wichtige Passagen wie die Experimente des Doktors fehlen fast völlig, die Beziehung zu Marie findet kaum Beachtung, das Ende weicht von Büchners Original ab. Die Reaktionen eines Woyzecks auf seine Umwelt sind kaum nachvollziehbar. Im exquisiten Nachwort Thomas Michael Mayers wird zwar darauf verwiesen, dass viele Probleme des Comics auf die italienischen Übersetzung des Stücks zurückzuführen sind, doch erwartet man als Leser deutlich mehr Recherchefähigkeit. Auch in Italien soll es Germanisten geben, so sagt man.

Auf bildlicher Ebene hingegen brilliert Battaglia. Man fühlt sich teilweise an Bernie Wrightson (Creepy) erinnert, dann wieder an expressionistische Zeichner der 1920er Jahre, an tschechische Zeichentrickfilme oder auch an den groben Strich Christian Gornys (Haarmann). Woyzeck wirkt gar seelenlos, gequält, ohne jede Hoffnung. Seine Peiniger scheinen vom Wahnsinn beseelt. Sporadisch kolorierte Panels in meist graublauer, manchmal auch gelber oder roter Farbgebung referenzieren auf Stummfilmästhetik (zur Kolorierung wurden meist bunte Folien verwendet) und auch wieder an den Expressionismus. In den Zeichnungen Battaglias herrscht eine Klaustrophobie, die Ihresgleichen sucht, sie lebt von den kantigen Konturen der in ihr gefangenen Menschen. Alles ist eckig, voller Schatten, ausladend. Woyzeck gehört zu den großen Erfolgen des zeichnerischen Ausdrucks und bewegt sich in einer Düsternis, die man so eigentlich nur von Alfred Hrdlicka kennt. Ein optischer Hochgenuss.

Großes Lob verdient der Altamira Verlag, der den Comic mit einem vorzüglichen Anhang bestückt. Nicht nur der komplette Woyzeck wird abgedruckt, eine restaurierte Fassung aus der letzten überlieferten Handschrift und den frühen handschriftlichen Entwürfen Büchners. Beide Textfassungen werden miteinander verknüpft und doch erkennbar voneinander abgesetzt. Ein Nachwort von Thomas Michael Mayer legt den historischen Kontext dar, befasst sich mit den Unterschieden der Comicadaption zum Original und darf als höchst lesenswert eingestuft werden. Mit einem kurzen biografischen Abriss zu Dino Battaglia (von Enrica Ferrazzi) schließt der Anhang. Man merkt: Dem Verlag war es wichtig, den vorliegenden Comic aufzuwerten, denn Battaglias Woyzeck gehört zu den Comics, denen das Schicksal zu Teil wurde, noch nicht als Kunst akzeptiert zu werden. Texte von Umberto Eco hatten das Medium zwar bereits aufgewertet, doch wurde die Verknüpfung von Bild und Text weiterhin äußerst kritisch beäugt. Besonders in der Literaturwissenschaft qualifiziert man den Comic nur zu gerne als kindische Massenware ohne künstlerischen Eigenimpuls ab. Zeichnern wie Dino Battaglia ist es zu verdanken, dass dem Medium stetige Aufmerksamkeit zu Teil wurde. Zeichnungen wie die Vorliegenden sind zu überragend um nicht als künstlerisch wertvoll erachtet zu werden. Leider gelingt es nicht, auch auf textlicher Ebene erfolgreich zu sein. Ein Problem, mit dem auch heute noch viele Zeichner zu kämpfen haben, zahlreiche Literaturadaptionen (meist Auftragsarbeiten) neueren Datums zeugen davon.

Woyzeck von Dino Battaglia erschien 1990 im Altamira Verlag und ist nur noch antiquarisch erhältlich. Eine Adaption zu Hoffmanns Der Sandmann erschien damals im selben Verlag.

Leineneinband, 62 Seiten. Ca. 20 – 60 € [D].

ISBN 3-927912-01-8

Wir hören dazu: Tom Waits – Blood Money.

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