Jethro Tull – A Passion Play (An Extended Performance)

A Passion Play

1973 war ein schwieriges Jahr für die Mannen um Ian Anderson. Mit dem satirischen Thick As A Brick, einer Parodie auf die damals sehr angesagten Konzeptalben, gelang es ihm mit seiner Band Jethro Tull, an die Spitze der Charts zu gelangen. Dass es sich dabei jedoch um eine Satire handelte, entging den Hörern. Anderson entschloss sich dazu, das Thema Konzeptalbum noch einmal ernst anzugehen und begab sich ins Château d’Hérouville in Frankreich, wo bereits Elton John und Yusuf Islam (Cat Stevens) Alben aufnahmen. Material gab es genug, schließlich wollte man ein Doppelalbum veröffentlichen. Doch keiner hätte mit dem besonderen Charme des Châteaus gerechnet: Bettwanzen, verdorbenes (und undefinierbares) Essen, Durchfallerkrankungen, ein Technik-Team, das versagende Technik amüsierte (obwohl auf diesem Wege immer wieder komplette Teile des Albums zerstört wurden) und vieles mehr erschwerte die Aufahmen, schließlich brach man die Sessions ab, kehrte fluchtartig in die britische Heimat zurück. Ian Anderson beschloss, die Sessions zu vergessen und ein komplett neues Album zu kreieren: A Passion Play. Bis heute zählt Anderson es zu den schlechtestes seiner Band, was auch mit dem Einsatz des von ihm inzwischen gehassten Saxophons zusammenhing. Seit den 70er Jahren hörte er es nicht mehr und bat seinen Remixer Steven Wilson darum, es komplett neu zu arrangieren. Wilson jedoch war sich dem Stellenwert des Albums im Fankanon durchaus bewusst. Von den einen verehrt, von den anderen verachtet. Bis auf wenige Saxophon-Parts, die dem Schneidetisch zum Opfer fielen, blieb also fast alles beim Alten, lediglich ein Stück wurde um einen damals abhanden gekommenen Teil erweitert. Wilson hat wieder einmal ganze Arbeit geleistet. Sowohl der Stereo- als auch der Surroundmix sind perfekt gelungen, nun offenbart sich dem Hörer jede Nuance der Aufnahmen. Selbst Anderson stimmt der neue Mix versöhnlich. Zwar schreibt er in den Linear Notes, das er sich immer noch wünsche, das Album nie aufgenommen zu haben, was aber an dem Wunsch liegt, heute ein Album mit dem gleichen Thema zu komponieren – nur eben besser durchdacht (angesichts des letzten Anderson Albums handelt es sich dabei m.E. inzwischen um Selbstüberschätzung). Neben der Passion-Play-CD/DVD findet sich im umfangreichen Mediabook aber auch noch die kompletten The Château D’Hérouville Sessions. In Stereo und Surround. Wilson macht scheinbar keine halben Sachen. Die von Anderson zu Nightcap-Zeiten hinzugefügten Flötenpassagen wurden wieder entfernt, das Material erweitert. Überdies liegen auch noch die Videos zu The Story Of The Hare Who Lost His Spectacles und die Intro/Outro-Filme der 1973er Tour vor – zumindest ersteres sollte man sich nicht entgehen lassen – und für Sammler und Musikhistoriker wird auch noch der Originalmix dargeboten. Der Umfang des Begleitbuchs hat Thick-As-A-Brick-Format, neben allerlei Interviews (u.a. mit der Ballerina der Filmsequenzen), einem Record-Collector-Artikel und jeder Menge Fotos findet sich hier alles, was sich der Fan nur wünschen kann. Über das Entfernen der wenigen Saxophone-Passagen mag man geteilter Meinung sein (uns ist es jedenfalls nicht negativ aufgefallen) – doch das Gesamtpaket stimmt. A Passion Play wird nun endlich umfangreich gewürdigt.

Erschienen bei Chrysalis.

Hinweis: Alle Artikel wurden mir von der entsprechenden Plattenfirma / dem entsprechenden Verlag bzw. Verleih zwecks Rezension kostenlos zu Verfügung gestellt. Die Rezensionen sind demnach als Werbung zu betrachten.
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