Ist das wirklich schon so lange her? 11 Jahre? Und doch erscheint es, als wäre es gestern gewesen. Der hiesige Redakteur widmete sich einzig der Rockmusik, Tom Waits mit Blood Money und Frank Zappa hatten die Tür des Raums, in dem der Jazz zu Hause ist, einen Spalt weit offen stehen lassen. Rebekka Bakken hingegen öffnete die Tür (dank Julia Hülsmanns Scattering Poems, bis heute eins der besten Alben der Sängerin) und zog ihn hinein. Unzählige Rebekka-Bakken-Konzerte später veröffentlicht die großartige Sängerin nun ein Album mit Tom-Waits-Material – ja könnte es noch besser kommen?
Little Drop Of Poison als durchweg großartig zu bezeichnen, wäre sicherlich falsch. Tom Waits Wildheit einzufangen misslang schon so manchem Künstler, als Paradebeispiel sei Scarlett Johansson zu nennen, was vor allem an der nicht besonders variablen Stimme der Schauspielerin lag. Bakkens Stimme hingegen wurde in den letzten Jahren immer sicherer, sie scheint einfach alles so singen zu können, dass man ihr stundenlang zuhören könnte (was hier wieder der Fall ist). Auch bei ihr schimmert die Waits’sche Verrücktheit durch – in ihrem eigenen Material gab es immer diese kleinen, verrückten Momente und da verwundert es gar sehr, dass es ein Stück wie What’s He Building? nur als Bonustrack auf die CD geschafft hat. Näher als hier, kommt sie Waits nicht. Bakken klingt so verwegen, wie auf ihren eigenen Songs und wagt doch einen Schritt nach vorn, in atonale Gefilde. Ein kleines Meisterwerk. Mit dem Rest des Albums verhält es sich deutlich zurückhaltender. Wenige Stücke bleiben wirklich nachhaltig hängen. Bad As Me gehört noch zu den besseren Vertretern, ebenso Just The Right Bullets. Der großartigste Moment, abseits der Bonustracks: Time. Hier eignet sich Rebekka Bakken den ohnehin großartigen Song an. Für einen kurzen Moment vergisst man, dass sie nur covert. Die Magie ihrer Eigenkompositionen blitzt auf, sie nimmt den Hörer gefangen. Der große Unterschied zu den übrigen Interpretationen: der Song lebt einzig von Bakken Stimme und ihrem Pianospiel. Keine Big Band. Es sind diese beiden Stücke, What’s He Building und Time, aber auch das behutsam arrangierte If I Have To Go, die zeigen, welche Chancen verschenkt wurden. Die Künstlerin solo am Piano, Waits-Songs singend, oder mit Big Band, dann aber so verrückt wie möglich – so wäre Little Drop Of Poison ein erneutes Highlight in Bakkens Katalog geworden. In der jetzigen Form gefällt das Album zwar trotzdem, erinnert jedoch sehr an Easy-Listening-Platten der 50er/60er Jahre, lässt sich zu gut im Hintergrund hören, klingt zu entspannt. Das haben so weder Rebekka Bakken noch Tom Waits verdient.
Besonders schade natürlich die Formatschlacht, denn nur auf dem Digipak finden sich die Bonustracks Everything Goes To Hell (der Waits-Lieblingssongs des Autors) und New Coat Of Paint, zwei sehnlichst erwartete Coverversionen …
Erschienen bei Emarcy / Universal.
Subjektiv: [xrr rating=3/5] Objektiv: [xrr rating=3/5]
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Wer ich bin: Ich schreibe Bücher, forsche zur Massenkultur (Comics!), komponiere, liebe Musik & bin hoffnungslos franko-/italophil.
Woran ich glaube: Wir sollten im Leben danach streben, Narren zu sein. Immer auf der Suche, niemals am Ziel, von Neugier getrieben, mit offenen Augen, Ohren & Geist durch die Welt gehend.