Man mag Peter Gabriel vorwerfen, dass er sich leicht verzettelt, viel zu lange braucht, um ein neues Album aufzunehmen. Man kann ihm in den letzten Jahren ebenso vorwerfen, zu sehr in der Vergangenheit zu leben, sich vielen alten, unfertigen Projekten zu widmen (dem großartigen Big Blue Ball) und diese fertigzustellen oder mit einem alten Album auf Tour zu gehen. An neuen Ideen scheint es dem Altmeister aber dennoch nicht zu mangeln. Man mag von seinen Nebenprojekten, den Soundtracks (so wurde ich vor allem durch Long Walk Home zum Gabriel-Solo-Fan), den Orchesteralben etc. halten, was man will – gut sind sie allemal. Besonders deutlich wird dies im Direktvergleich zwischen Scratch My Back und And I’ll Scratch Yours. Ersteres war eine in sich gekehrte, schwermütige Adaption verschiedener Popsongs im Orchestergewand, die aber, anders als erwartet, wirklich gut arrangiert wurden und allesamt Eigenständigkeit boten. Überdies gehören sie zum besten Klassik-Pop-Crossover der Musikgeschichte, denn das Orchester wurde als völlig eigenständiger Klangkörper behandelt, der nicht bloß emotionale Unterstützung zur Rockband bieten sollte. Nun kommt mit einigen Jahren Verzögerung die Revanche der gecoverten Musiker. Gleich vorweg muss angemerkt werden, dass beim Rezensenten vor allem der unbändige Drang geweckt wurde, die alten Gabriel Alben wieder hervorzukramen und sich den Originalen anzunehmen.
Gabriel gelang es, fast alle gecoverten Musiker dazu zu überreden, einen Song beizusteuern. Unter ihnen: David Bowie. Bowie hatte – so munkelt man – anno 2010 keine Lust mehr an der Musik und so finden wir auf And I’ll Scratch Yours Brian Eno vor, der mit Mother Of Violence eines der stärksten Songs abliefert. Ebenso stark: Feist feat. Timber Timber, Lou Reed, Randy Newman, Regina Spektor und Paul Simon. Auch ihnen gelingt es, den jeweilig ausgewählten Song zu bereichern. Elbow hingegen gelingt eine fantastische Gabriel-Kopie, Mercy Street gefällt mir beinahe besser, als das Original. Doch eigenständig, gar visionär, ist das sicher nicht. Richtig schlimm sind hingegen die Songs, deren Neuarrangements nicht zu unterhalten wissen. Zwar versuchen Stephen Merritt, Joseph Arthur und David Byrne den Originalen ihren ganz eigenen Stempel aufzudrücken, aber es gelingt ihnen nicht, den Hörer auf Songlänge zu fesseln. Das ist recht schade, denn die Grundideen sind toll, im Gegensatz zu Elbow sogar teilweise visionär. Etwas enttäuscht bin ich von Paul Simons unfassbar berechenbarer Songauswahl. Auf musikalischer Seite macht der große Songwriter aber alles richtig.
Es stimmt etwas traurig, dass einige Musiker nicht den Mut hatten, aus Gabriels Schatten zu treten. Falsche Sakralisierung erscheint der falsche Weg der Würdigung. Man höre in Gabriels Coverversionen hinein und vergleiche diese mit den Originalen. Seine Freude an der Demontage teilt scheinbar einzig Lou Reed. Es ist überdies traurig, dass einige Musiker nicht zu einer Kooperation zu bewegen waren. Denn die Idee eines gegenseitigen Austauschs, eines Sängerkriegs, ist wirklich großartig und hätte die volle Unterstützung aller gecoverten Interpreten verdient.
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Wer ich bin: Ich schreibe Bücher, forsche zur Massenkultur (Comics!), komponiere, liebe Musik & bin hoffnungslos franko-/italophil.
Woran ich glaube: Wir sollten im Leben danach streben, Narren zu sein. Immer auf der Suche, niemals am Ziel, von Neugier getrieben, mit offenen Augen, Ohren & Geist durch die Welt gehend.