Im Oktober wird nun endlich die Serienmörder-Trilogie vollendet. Mit Vasmers Bruder schließt ein groß angelegtes Projekt über das Verhältnis von Gesellschaft und Individuum, dessen Maßgabe es ist, weniger die Morde selbst, als vielmehr die gesellschaftlichen Strukturen zu fokussieren, die es erst ermöglichten, dass die Täterinnen und Täter ungehindert agieren konnten. Ein Zyklus, dessen Vorbereitungszeit weit bis in die 1980er Jahre zurückreicht.
Böse Geister unterbricht den Serienmörderzyklus. Zwar steht auch hier das Verhältnis von Gesellschaft und Individuum im Vordergrund, doch widmet sich Meters Geschichte den Kindern der Nachkriegszeit. Ihre machtlose Position Erwachsenen gegenüber rückt in den Fokus, denn der wahre Horror findet sich in oft (fehlender) Empathie. Die Geschichte ist schnell erzählt: Der inzwischen sechzigjährige Harry Wallmann besucht noch einmal den Wohnblock, der in früher Kindheit sein zu Hause war und nun kurz vor dem Abriss steht. Er betritt den alten, verlassenen Buchladen, der für ihn Hauptbezugspunkt seiner geliebten Horrorcomics (die es in dieser Form übrigens nicht in Deutschland gab) war. Schon bald hört er die Stimmen der Vergangenheit und durchlebt erneut die Geschichte seiner frühen Tage, die wahrlich keine Schöne ist. Denn Verlust und Herrschaftsstrukturen prallen aufeinander und entfalten ein so irdisches wie grausiges Spiel.
Im Vergleich zu Haarmann ist Böse Geister eine kurze Geschichte. Schnell erzählt, doch nicht minder wirkungsvoll. Denn was der kleine Harry erlebt, ist nachvollziehbarer als der unvorstellbare Wahnsinn, der sich im alten Hannover zutrug. Ein Lehrer mit veralteten Wertvorstellungen lebt seine sadistischen Neigungen mit Hang zur kulturellen Säuberungen an einem kleinen Jungen aus, dessen Leben ohnehin aus den Fugen gerät bzw. geraten ist. Wer kennt sie nicht, die unsensiblen Lehrer, die einem in Kindheit und Jugend begegnen und die glauben, sie hätten die Erziehungsberechtigung auch außerhalb des angesetzten Unterrichts? Denn was nicht dem begrenzten Horizont der Lehrperson entspricht, darf nicht sein und das eigene Empfinden wird gerne mal auf andere Menschen projiziert. In den Nachwehen der NS-Zeit muss die Situation in dieser Hinsicht unerträglich gewesen sein. Lehrer, von der Schmutz- und Schundbewegung indoktriniert, versehen mit einer nicht zu unterschätzenden gesellschaftlichen Machtposition, wurden auf Kinder losgelassen und durften völlig ungehindert ihre altbackenden, faschistoiden Wert- und Kunstvorstellungen umsetzen. In dieser Hinsicht ist Böse Geister also auch Chronik der Nachkriegszeit und zeigt auf, welche Trennung von hoher und niederer Literatur damals noch betrieben wurde.
Die Zeichnungen Gerda Raidts wissen zu gefallen. Er unterscheidet sich stark von den Illustrationen der Serienmörder-Künstler und erinnert an Kinderbuchillustrationen. Die Bleistiftzeichnungen sind dabei allesamt sympathisch, vermitteln die ideale Atmosphäre für diese Art von Geschichte, irgendwo zwischen Härte und kindlicher Naivität. So wirkt der Lehrer dämonisch, der Buchhändler hingegen durchweg liebenswürdig. Eine auf drei Panels beschränkte Seitenaufteilung verleiht dem Buch überdies eine filmische Struktur, sie wird nur selten durchbrochen.
Immer wieder hört man, dass Böse Geister nicht an Haarmann oder Gift heranreicht. Doch sind die verarbeiteten Themen nicht minder relevant, das Szenario spannend gestaltet und die Zeichnungen angemessen. Überdies bietet Meter eine sympathische Schlusspointe, die man in dieser sehr irdischen Geschichte nicht erwartet hätte. Der Rezensent ist vor allem von der Melancholie des Gesamtprodukts begeistert, der unfassbaren Traurigkeit, die immer wieder zwischen den Panels hervorblitzt. Harry Wallmanns Versuch, mit einem Schicksalsschlag umzugehen berührt ungemein. Der Feder Peer Meters und dem Bleistift Gerda Raidts ist ein wunderbarer Comic entsprungen, den ich nur wärmstens weiterempfehlen kann und dem zu wünschen ist, dass er nicht im Hype um die Serienmörder-Trilogie untergeht.
Erschienen bei Reprodukt.
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Wer ich bin: Ich schreibe Bücher, forsche zur Massenkultur (Comics!), komponiere, liebe Musik & bin hoffnungslos franko-/italophil.
Woran ich glaube: Wir sollten im Leben danach streben, Narren zu sein. Immer auf der Suche, niemals am Ziel, von Neugier getrieben, mit offenen Augen, Ohren & Geist durch die Welt gehend.