Der besondere Film: Snow White & The Huntsman (Extended Edition, Blu-ray)

Schneewittchen hat einen schweren Stand in der Film-, Theater- und Musikgeschichte. Unzählige Vertonungen, Theaterstücke und Filme basieren auf dem wohl bekanntesten Märchen, das fälschlicherweise den Gebrüdern Grimm zugeschrieben wird, die sich selbst allerdings bei dem mit ihnen nicht verwandten Adalbert Ludewig Grimm bedienten – der sich wiederum auf Giambattista Basile beruft. Doch auch dieser Autor hat den beliebten Stoff keineswegs erfunden, sondern lediglich diverse biblische und historische Motive zusammengeführt. Überdies wird von einigen Historikern darauf verwiesen, dass es in Deutschland eine Prinzessin gegeben hat, die erstaunliche Ähnlichkeit mit dem uns bekannten Schneewittchen aufweist und sogar von Kleinwüchsigen (Minenarbeitern, die dank Kinderarbeit und ungesunder Grubenluft kleinwüchsig waren) umgeben war. Dieses Schneewittchen entsprach mit seinen schwarzen Augen jenem Urtext der Grimms von 1810, den die Brüder höchstselbst Clemens Bretano übergaben und der nach dem Ersten Weltkrieg im Trappistenkloster Ölenberg im Elsass wiedergefunden wurde. Die Farbe ihrer Haare ist dort nirgendwo erwähnt und doch verwundert es schon ein wenig, wenn man sich die blonden Haare des historischen Schneewittchens vor Augen führt. Doch noch größere Verwunderung ruft die Tatsache hervor, dass von den zahlreichen Umsetzungen des Märchenstoffs, der vielzähligen Ausarbeitung des Märchens, nur wenige Versionen rundum geglückt sind. Allen voran die zweite Verfilmung des Stoffs, deren Besonderheit es ist, der erste abendfüllende Zeichentrickfilm der Geschichte zu sein. Zwar wurde zuvor bereits mit Aneinanderreihung mehrerer Silly Symphonies experimentiert, doch war ein abendfüllender Zeichentrickfilm, mit einer Ausrichtung auf ein erwachsenes Publikum, neu und man hielt Walt Disneys Traum für ein erfolgloses Unterfangen. Diese viel gescholtene Disney-Fassung von 1937, die, wenn man sie genauer betrachtet, ungemein düster erscheint und – auch bedingt durch die fantastische Musik Frank Churchills et al. – ein bildgewaltiges Epos darstellt. Ein Epos freilich, das in der deutschen Videoneusynchronisation der 1990er Jahre viel von seiner ursprünglichen Opulenz einbüßt. Doch ist Snow White Fluch und Segen für die kommende Rezeptionsgeschichte. Viel zu oft wurde in weiteren Verfilmungen der niedliche Aspekt des Märchens herausgearbeitet (Zwerge, anthropomorphe Tiere), wie es z. B. Caroline Thompsons Verfilmung oder die DEFA-Filme eindrucksvoll beweisen. Eine wohlige Ausnahme bietet hingegen die überaus gelungene 1997er Version Snow White – A Tale Of Terror (Michael Cohen), die nie in den Lichtspielhäusern zu sehen war und ihren Weg direkt auf DVD/Video fand. Die unfreundlichen (!) Zwerge sind hier politisch verfolgte Männer, die sich weigerten, in die Kreuzzüge zu ziehen. Zur Strafe folterte und verstümmelte man sie, lies sie dabei zusehen, wie ihre Familien ermordet wurden. Aber auch hier blieb der Ausflug ins Fantastische nicht aus, denn die böse Königin verwandelt sich selbst mehrere Male in die märchentypischen Formen, belegt zudem alle Diener mit einem Fluch, wie man es aus der Zombiemythologie kennt. Die Vermischung religiös-blasphemischer Motive, die Zombiethematik und der stark sexualisierte Inhalt sprechen an, werden jedoch durch die unglückliche Besetzung des Schneewittchens (Monica Keena) gemindert. Überhaupt ist die Besetzung des Schneewittchens in den letzten Jahrzehnten immer wieder gründlich misslungen. Entweder die Schauspielerin sah nicht aus wie Schneewittchen (Monica Keena) oder sie konnte nicht wirklich schauspielern (Kristin Kreuk, Laura Berlin) musste gegen ein albernes Ensemble ankämpfen (Cosma Shiva Hagen) oder war reines Lustobjekt (Ludmilla Antonova). Dabei gab es immer wieder Schauspielerinnen, die den Anforderungen in jeder Hinsicht entsprochen hätten: Monica Bellucci (inzwischen zu alt), Katie Holmes (die an der Seite von Tom Cruise oft genug wirkte, als lebe sie mit einem der sieben Zwerge zusammen), Zooey Deschanel (eigentlich perfekt). Lediglich unseren französischen Nachbarn gelang es, mit Miroir Mon Amour (2012) sowohl das Schneewittchen (Judith Chemla) als auch die böse Königin (Fanny Ardant) gut zu besetzen. Dennoch hat der Film seine Eigenheiten, die aber als außergewöhnlich zu bezeichnen sind. Es existiert wohl keine Verfilmung, die das Märchen so psychoanalytisch betrachtet, wie dieser Film von Siegrid Alnoy.

Nun also gleich zwei Kinofilme aus Hollywood. Eigentlich keine schlechte Idee, bewies man bereits in den 1980er Jahren mit Zeit der Wölfe und in den 1990er Jahren mit Auf immer und ewig ein gutes Händchen für Märchenmotive. Doch wer wird in den neuen Verfilmungen besetzt? Lilly Collins (die durchaus schauspielern kann, man beachte The Blind Side) und Kristen Stewart. Kristen Stewart, die mit Panic Room und Into The Wild mehr als bewiesen hat, dass sie schauspielern kann, scheint optisch im ersten Moment nicht wirklich zu passen und überzeugt dennoch auf ganzer Linie. Es macht einfach ungeheuren Spaß, ihr beim Leiden zuzuschauen und das ist an dieser Stelle keineswegs zynisch gemeint. Machen wir uns nichts vor: Das kann sie, dabei sieht sie sexy aus und wer ganz genau aufpasst, erwischt sie sogar dabei, wie sie lacht und für wenige Minuten ihr von Teenagern und Produzenten geschnürtes Twilight-Leidens-Korsett ablegen darf. Wer hätte das für möglich gehalten?

So, wie Kristen Stewart überzeugt, überzeugen auch andere Elemente des Films. Die märchenhaft verträumte Einleitung und die feministischen Motive erzeugen eine interessante Spannung – so etwas kannte man wirklich nur aus der Cohen-Fassung. Selten war eine Königin so bösartig, wie es Charlize Theron ist, selbst Sigourney Weaver verblasst hier. Snow White And The Huntsman hätte auch gut als One-Woman-Show funktioniert, denn an Therons Bösartigkeiten kann man sich einfach nicht sattsehen. Dass die Bösartigkeiten hier von einer unfassbar hübschen Frau begangen werden, zeigt eindrucksvoll, wie reine Äußerlichkeiten die Sinne vernebeln können. Während die Königin ihren Dienerinnen das Leben aussaugt oder in Milch badet (Therons Figur vereint hier Motive aus der Lebensgeschichte der vom Jugendwahn getriebenen Elisabeth Báthory, der Legendenbildung um Marie Antoinette und Cleopatra) fristet Schneewittchen ein einsames Leben im Turmverlies (Rapunzelmotiv), während das Volk von den Abfällen der Königin lebt. Überhaupt hat Schneewittchen hier wenig zu lachen (was dem Cliché, die schauspielerischen Fähigkeiten Stewarts betreffend, übrigens entgegenkommt). Nach einer langen Einleitung folgt dann die Flucht in den dunklen Wald, der grandios in Szene gesetzt ist. Hier wird betont, was oft genug unter den Tisch fällt: Der Wald lebt, seine Pilze stoßen giftige Sporen aus, er ist unheimlich, er vernebelt die Sinne derer, die ihn betreten so, wie es die böse Königin mit den Sinnen der Männer tut. Dennoch fühlt sich der aufmerksame Zuschauer doch ein wenig an Gilliams Grimm oder wenigstens Batman Begins erinnert. Während in Ersterem der Wald ebenfalls lebt, zeigt Nolans Film ein Gift, das die Urängste offenbart. Ist der Wald erst einmal durchquert, flacht der Film leider merklich ab. Hier ein wenig Marion Zimmer Bradley (im Ernst: Welche Funktion hatten die Flussfrauen?!?), dort ein wenig Die unendliche Geschichte, ein völlig unnützer Troll etc. Doch sobald die Zwerge ins Spiel kommen, gewinnt der Film wieder an Fahrt. Diese sind nicht übertrieben niedlich, bilden nicht die Identifikationsfigur für 6-jährige Kinder (wie es in Herr der Ringe der Fall war) und sind zu acht, was gut ist, denn einer stirbt, was die Zahl auf 7 reduziert (und es soll auch schon Theaterstücke gegeben haben, in der weniger als 7 Zwerge auf der Bühne standen, weil einige angeblich noch im Bergwerk arbeiteten). Leider geschieht im Zwergenwald aber etwas, was den Film endgültig gegen die Wand fährt, denn der plötzlich erscheinende Naturgott wird zwar wirkungsvoll inszeniert (und ich muss gestehen, dass die Szene über eine durchaus interessante Wirkung verfügt, die man sonst auch aus Wagneropern kennt) doch ist die komplette Szene stumpfes Zitat aus Mononoke Hime. Nur das hier die Waldgeister hässliche CGI-Elfen, die Pilze mit Augen und vor allem die Schildkröten einfach zu viel des guten sind. Und den Sinn von CGI-Vögeln erkenne ich auch nicht. Was hat Rupert Sanders sich dabei nur gedacht? Als ob die oben genannten Zitate (plus Tempel des Todes) nicht schon genug wären. Bevor der Zuschauer jedoch abschaltet, geschieht etwas ganz Wunderbares: Schneewittchens Ableben wird wirklich großartig in Szene gesetzt (in der Urfassung des Märchens erwacht Schneewittchen übrigens von selbst, andere Überlieferungen kennen einen Prinzen, der sie versehentlich wieder erweckt. Sanders jedoch zitiert hier Walt Disney, der wiederum seinerzeit Dornröschen imitierte), die daraufhin folgende Wandlung Schneewittchens zur Kriegerin und die des Volks zu Kriegern kommt allerdings zu kurz. Soeben noch unfähige Bauern und plötzlich hochgerüstete Krieger? Das hat nicht einmal Kevin Costner in Robin Hood geschafft. Und so reitet man fröhlich gen Schloss und metzelt alles nieder, was sich einem in den Weg stellt.

Snow White And The Huntsman hat seine Probleme, keine Frage. 2 Stunden sind nicht genug Zeit, um die Geschichte umfassend zu erzählen, daher gibt es Logiklöcher en Masse, die selbst Dario Argento nicht besser hinbekommen hätte (der seines Zeichens immer wieder gekonnt Schneewittchen zitiert). Die Filmzitate sind einfach zu präsent, einige Szenen aufgesetzt willkürlich (Troll, Flussfrauen) und dennoch gefällt der Ansatz des Films. Die düstere Optik überrascht (wenn die Welt eines nicht braucht, dann Märchenkomödien) ebenso wie Kristen Stewart. Den Wald ausgiebig zu nutzen war ein guter Einfall. Ebenso gut die Idee, die Fokussierung auf das Motiv der (verschobenen) (Sinnes) Wahrnehmungen zu legen. Die Streichung einiger Elemente war notwendig (die Zwergenepisode im Märchen ist einfach zu lächerlich) und auch sonst ist die Modernisierung des Märchens gelungener, als man vermuten würde. Aber warum heißt Schneewittchen hier Snow White und der Jäger immer Huntsman (es klingt allerdings eher nach Hans Mann)? Man weiß es nicht. Rupert Sanders täte gut daran, demnächst mehr eigene Ideen zu entwickeln, denn die wenigen, die er hier selbst eingebracht hat, retten den Film vor dem Untergang im Zitatensumpf (was bei anderen Regisseuren übrigens kein Problem darstellt, man denke an Tarantino). Wie dem auch sei, Snow White And The Huntsman gelingt es, zwei Stunden bestens zu unterhalten, trotz kleinerer Hänger. Ignoriert man die negativen Aspekte des Films, so bleibt eine der besten Verfilmungen des Stoffs in den letzten 30 Jahren, was eigentlich, ob des Potentials des Stoffs, traurig ist. Und wer dann doch eine lustige Adaption des Märchens lesen möchte, sollte sich mal Karen Duves zuwenden, die mit viel Respekt vor dem (Gebrüder Grimm) Original überzeugt.

Erschienen bei Universal.

Externe Kritiken: Owley / Jason Auric.

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