Jon Lords Concerto hat eine lange, schwierige Reise hinter sich. Von den übrigen Deep-Purple-Kollegen (Blackmore wollte lieber Hardrock spielen) und dem Royal Philharmonic Orchestra sabotiert (trotz des ausgiebigen Bemühens seitens Sir Malcolm Arnolds, sein Orchester zu motivieren, lehnten die Instrumentalisten in typischer “Hochkultur”-Snobart dankend ab), hatte Lord große Schwierigkeiten, seine Vision ansprechend umzusetzen. Nach verschiedenen Konzerten ging dann die Partitur verloren. Marco de Goeij, ein Komponist aus den Niederlanden, rekonstruierte unter Zuhilfenahme der CD und eines unvollständigen TV-Mitschnitts der Premiere das Concerto, so dass man mit der neuen Deep-Purple-Besetzung (Gitarre: Steve Morse) es erneut wagen konnte, das Werk aufzuführen. Kurz vor seinem Tod war es Jon Lords Anliegen, sein Hauptwerk überarbeitet und in bestmöglicher Besetzung neu einzuspielen.
Sicher: Das Concerto hat seine Schwächen. Aber so ergeht es allen gelungeneren Arbeiten, die versuchen, Rock und Klassik zu verbinden. Seien es die Concerti Grossi 1 und 3 der New Trollz (ersteres wurde immerhin von Luis Bacalov komponiert, der für die Filmmusik von Il Postino mit dem Oscar ausgezeichnet wurde) oder Christopher Rouses Wagner-Meets-Led-Zeppelin-Komposition Der Gerettete Alberich (überwiegend gelingt es hier Wagner, Rock und Neue Musik zu kombinieren, lediglich der dritte Satz ist anfangs zu plakativ komponiert). Dennoch gehört das Concerto zu den besseren Vertretern der Richtung und darf mit den New Trollz und Rouse in einem Atemzug genannt werden. Klassische Hörer werden aber schnell erkennen, dass hier viel zitiert wird. Ob Sibelius, Tschaikowsky oder Beethoven – Lords Bewunderung gegenüber den großen Komponisten unserer Zeit ist mehr als offensichtlich (Paul Mann analysiert im Booklet die Musik des Organisten und erklärt en Detail, welcher Komponist in welcher Passage zitiert wurde).
Lords Neueinspielung wurde deutlich überarbeitet. Besonders das Vivace Presto sticht hier hervor. Die Hammondorgel jault und schreit, verschmilzt mit dem Orchester, der Unterschied zwischen Klassik und Rock ist aufgehoben. Dafür muss der Hörer auf das Ian Paice Schlagzeugsolo verzichten (Schlagzeugsoli sind anscheinend nicht mehr en vogue – bereits auf den Anfang 2000 erschienenen Remasters der 1969 Version fehlte davon einiges). Generell ist festzustellen: Das Schlagzeugspiel ist bei weitem nicht so gut, wie in der Originalaufnahme, was durch einen sehr prominenten Drummix besonders betont wird. Dennoch hat auch Brett Morgan seine Momente. Insbesondere das Moderato Allegro lebt vom funky Zusammenspiel Guy Pratts (Bass) und Brett Morgans. Trotzdem holzt Letzterer. Am Gesang zu hören sind Steve Balsamo und Kasia Laska (beide unnötig Musical- / Operettenhaft) sowie Iron Maidens Bruce Dickinson (kann man mögen, der Rezensent hört ihn lieber im Kontext seiner Stammband) – Ian Gillan können alle drei nicht das Wasser reichen. Die drei Gitarristen (Darin Vasilev, Joe Bonamassa, Deep Purples Steve Morse) spielen, anders als Blackmore, songdienlich. Man kann streiten, ob Vasilevs Yngwie Malmsteen Imitation im ersten Satz besser klingt als Blackmores etwas zu aggressives Spiel. Der Rezensent bevorzugt die 1969er Variante. Nur einem gelingt es, Ritchie Blackmore an die Wand zu spielen. Steve Morse spielt passend, bereichert die Komposition mit einem schwebenden Sound zwischen Klassik, Pink Floyd und Deep Purple. Alles in allem macht es ungeheuren Spaß, das Concerto in bestmöglicher Qualität zu hören, unter der Führung von Paul Mann wurde Jon Lords Traum der idealen Einspielung zumindest größtenteils erfüllt. Das Orchester spielt exakt, zeigt, wie die Besetzung des gleichen Klangkörpers in den späten 1960ern versagt hat. Trotzdem sollte man die CD Version der 1990er Jahre keineswegs einmotten: Sie hat auch ihre Stärken und ist ein tolles Zeitdokument. Und sie hat ein tolles Schlagzeugsolo.
Erschienen bei Ear Music.
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