Aufmerksame Leser wissen es bereits: Hannes Wader ist auf dieser Seite so etwas wie der deutsche Säulenheilige. Eine unumstößliche Legende, der für die deutsche Musikszene mehr getan hat, als alle Bendzkos, Nenas und Naidoos gemeinsam. Messerscharfe Texte, den Finger immer in die Wunden legenden, Missstände aufzeigend – dabei immer gerade heraus mit der angenehmsten Stimmen unter den Liedermachern. So wie Hannes Wader klang noch keiner. Und mit Nah dran liegt nun endlich wieder ein Album vor. Das gute vorweg: Hannes Wader klingt auch noch im hohen Alter überaus angenehm, die Stimme hat nur etwas in den Höhen gelitten. Mit Stücken wie Nah dran, Mahlzeit, Boulevard St. Martin und Lied vom Tod finden sich vier interessante Stücke, die an die besten Zeiten des Barden anknüpfen. Textzeilen wie „Da ist dann auch so ein Typ mit ner Gitarre aufgetreten / Uschi ist fast ausgerastet als der anfing zu singen / um ‚Heute hier morgen dort‘ von Reinhard Mey zu bringen“ oder „Nehmen wir mal an ich würde so wie Gunther Sachs dement / müsste ich den Mut aufbringen im entscheidenden Moment / mir die Kugel zu geben es nicht noch so weit rauszuschieben / das ich es vergesse zwar wär mir dann alles egal / doch die Verantwortung, die Sorgen um mein Wohlergehen sie blieben / an meiner Familie hängen und am Pflegepersonal“ hätten so auch aus den 1970er Jahren stammen können und zeigen heutigen Songwritern, was Selbstironie und Galgenhumor bedeutet. Dennoch hinterlässt das Album einen bitteren Nachgeschmack. Da wären z. B. die Arrangements. Sie funktionieren leider nicht bei jedem Song, wie Seit Ewigkeiten oder auch Ich werd‘ es überstehn beweisen. Gerade die Countryarrangements wirken unnötig, denn am besten ist Wader immer dann, wenn nur er und seine Gitarre zu hören sind. Kommen dann noch Schlagzeug und Bass dazu, ist weniger oft mehr, wie Die welken Blätter eindrucksvoll beweist. Hier stört dann auch das Akkordeon nicht. Generell wirkt Nah dran so, als versuche man bei Mercury, alle Hörerschaften zu bedienen. Volkslied, Musette, Coverversion und zynischer Longtrack: keiner geht leer aus. Das mag man nun werten wie man möchte. Ich persönlich hätte auf Dass wir so lang leben dürfen, Jeder Traum (trotz meiner Degenhardt Vorliebe), Alter Freund und Seit Ewigkeiten verzichten können und würde ein kantigeres Album bevorzugt. Alles in allem ist Nah dran jedoch ein schönes, etwas zu langes, Album geworden, das niemanden so richtig enttäuschen wird. Wie Wader klingt eben nur Wader – und selbst das ist hier nicht hundertprozentig sichergestellt.
Erschienen bei Mercury / Universal.
Subjektiv: [xrr rating=4/5] Objektiv: [xrr rating=4/5]
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Wer ich bin: Ich schreibe Bücher, forsche zur Massenkultur (Comics!), komponiere, liebe Musik & bin hoffnungslos franko-/italophil.
Woran ich glaube: Wir sollten im Leben danach streben, Narren zu sein. Immer auf der Suche, niemals am Ziel, von Neugier getrieben, mit offenen Augen, Ohren & Geist durch die Welt gehend.