Alles begann damit, dass ich mich von einer Bekannten zu einem Konzert von Bela B. überreden lies. Sie köderte mich mit einem Duett, dass dieser vor einiger Zeit mit der Songwriterlegende Lee Hazelwood aufgenommen hatte. Da ich gerne mal fremdhöre, kaufte ich mir eine Karte und ließ sogar das Joy Denalane Konzert zwei Tage später sausen. Leider. Es ist nicht so, dass ich Bela B. langweilig finden würde – Die Ärzte und vor allem Farin Urlaub habe ich eine Zeitlang sogar dauerkonsumiert, aber Joy Denalane ist ganz eindeutig eher für mich geeignet. Dennoch löste das Konzert etwas in mir aus. Ich begann, über Szenen nachzudenken. Auf dem Konzert waren nämlich auffallend wenig Punks, eher Menschen mit rosa Polohemd und Stehkragen, also solche, denen man Bela B. nicht zugetraut hätte. Meine Bekannte begann mit sofortiger Wirkung, über diese Menschen zu lästern. „Was haben denn diese Mainstreamtussis hier zu suchen?“ fragte sie völlig entrüstet. Plötzlich war es mir klar: Underground muss tot sein! Doch wie konnte das sein? Haben die Plattenfirmen den Krieg gewonnen? Die Situation wurde indes immer seltsamer. Bela B. forderte das Publikum auf, sich gegen Faschismus auszusprechen und den linken Arm zu heben. Alle taten, was man ihnen gesagt hatte. Ich erinnere mich schlagartig an Frank Zappa, jenen Musiker, der dem Publikum Befehle gab, um es darauf hin nach Strich und Faden zu beleidigen. Er hatte Recht. Er war zwar ehrlich und unbarmherzig er hatte aber Recht. Ich frage mich bis heute, ob Bela B. vielleicht wie Zappa gedacht hatte, ihm aber untersagt worden war, wie er zu handeln?
Punk bin ich nie gewesen, eher interessierte ich mich für Velvet Underground, Nico, Led Zeppelin und das James Taylor Quartett. Ich war zwar Punkaffin, passte aber, auch äußerlich, nicht so recht in diese Ecke. Doch wo fängt Underground eigentlich an? Wie viele Platten darf ein Musiker verkaufen, um als Underground zu gelten – ist ein Plattenvertrag nicht schon an sich ein Eingeständnis an den Mainstream? Schwer zu sagen. Der Künstler befindet sich in einer Zwickmühle. Ohne Plattenvertrag lässt es sich schwer leben, schon das Organisieren überregionaler Konzerte kann zur Tour De Force werden. Mit Plattenvertrag wird der Künstler umgehend kommerzialisiert, was vom Standpunkt der Plattenfirmen auch nachvollziehbar erscheint. Sie tragen das Risiko (Nun, so einfach ist das auch wieder nicht, aber der Artikel befasst sich nicht mit Musikmarketing). Startet der Musiker mit noch so guten Ambitionen, wird er in einem ewigen Kampf gegen den Produzenten und die Plattenbosse in jedem Fall unterliegen. Die Industrie hat gewonnen und so wird eine Pseudoindieszene kreiert. Hast du Erfolg in den Indiecharts, bist du eigentlich nicht mehr Independent. Deine CDs verbreiten sich unweigerlich auch bei Menschen, die eigentlich lieber Mainstream hören und die ihren Musikgeschmack mit „Bunt gemischt“ angeben. Diese Menschen sind es dann, die, Szene untypisch, mit rosa Polohemd und Stehkragen, auf Independentkonzerten gehen.
Habe ich am Anfang ein Bela B. Konzert beschrieben, möchte ich abschließend darauf hinweisen, dass ähnliches auch bei Schandmaul zu beobachten war. Als die Musik plötzlich Charttauglich war, interessierten sich immer weniger der alten Fans für sie und die Konzerte wurden von einer gänzlich anderen Klientel besucht. Für den Künstler und das Management ist das sicher schön. Dennoch: mit Polohemden auf Punkkonzerte zu gehen – ist das nicht schon wieder Punk?
Hinweis: Alle Artikel wurden mir von der entsprechenden Plattenfirma / dem entsprechenden Verlag bzw. Verleih zwecks Rezension kostenlos zu Verfügung gestellt. Die Rezensionen sind demnach als Werbung zu betrachten. Werbung: Wenn dir der Artikel gefällt, wirst du mein Buch lieben: The Beach Boys - Pet Sounds
Wer ich bin: Ich schreibe Bücher, forsche zur Massenkultur (Comics!), komponiere, liebe Musik & bin hoffnungslos franko-/italophil.
Woran ich glaube: Wir sollten im Leben danach streben, Narren zu sein. Immer auf der Suche, niemals am Ziel, von Neugier getrieben, mit offenen Augen, Ohren & Geist durch die Welt gehend.